Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
gemeinsam mit Journalisten des Programms «Das vergessene Regiment» Saschkas Mutter aus Deutschland und überreichten ihr in der Einheit den Goldenen Stern ihres Sohnes.
Damals traf sie auch Wladimir Schabalin.
«Seinerzeit lief so ein Film, ‹Verbrannt in Kandahar›», sagt er. «Dort wird von einem verwundeten Offizier erzählt, der von einem Soldaten gerettet wird. Der Offizier bringt später den Leichnam dieses Soldaten nach Hause, und die Angehörigen fragen ihn: ‹Warum bist du am Leben, und er ist tot?› Deshalb fürchtete ich diese Begegnung, ich hatte Angst, ich bekomme diese Worte zu hören. Aber wir haben uns sehr gut verstanden. Wir halten bis heute Kontakt. Ich bin jetzt für sie bestimmt auch so eine Art Angehöriger. Ich muss doch jetzt zwei Leben leben …»
Mit einem Ruck wirft er sein Barett auf die Bank und schaut mir direkt in die Augen.
«Weißt du, das war nicht der erste Soldat, den ich in dem Krieg verloren habe. Und jener Kampf war nicht der schlimmste. Und dennoch … Jenes Mal war alles anders. Früher sind die Jungs im Kampf gefallen und hatten keine Wahl, aber da … Das war eine Selbstopferung. Heute bin ich der Meinung, dass er das nicht hätte tun sollen. Es wäre besser gewesen, der Scharfschütze hätte mich getroffen. Glaub nicht, ich wäre lebensmüde oder selbstmordgefährdet. Aber was hab ich schon von diesem Leben? Ich habe nichts erreicht – habe keine Wohnung, kein Geld, bin nicht bei guter Gesundheit. Drei Einsätze im Krieg und vier Sterne auf der Schulter. Und Perspektiven gleich null. Das ganze Leben hier, auf den Schulterstücken. Und weiter?»
Schabalin spricht nicht gern offen darüber, dass er jemandem sein Leben verdankt. Am siebtenAugust feiert er nicht seinen zweiten Geburtstag, sondern das Gedenken an den Soldaten, den er nicht hat schützen können. Es ist ein Tag der Trauer. Und jedes Jahr bringt er Saschas Foto hierher, an den Gedenkstein, und steht lange mit dem Glas Wasser da, schaut in die Gesichter …
Vor kurzem hat Sascha Lajs übrigens einen kleinen Bruder bekommen. Er heißt ebenfalls Alexander. Getauft hat Alexander den Jüngeren der erste Geistliche der Luftlandestreitkräfte, Priester Michail. Und Taufpate war der Hauptmann der Luftlandetruppen Wladimir Schabalin.
Ein Tag wie ein Leben
Es hat sich so ergeben, dass ich viel mit Leuten zu tun habe, die den Krieg in Tschetschenien oder Afghanistan durchgemacht haben. Einen Schluss habe ich aus meinen Begegnungen gezogen: Die Tschetschenien-Veteranen ähneln den Afghanistan-Veteranen in keiner Weise. Die Afghanen, jedenfalls die Mehrzahl von ihnen, haben irgendwie ins Leben zurückgefunden. Sie hatten eine innere Rechtfertigung für diesen Krieg. Sie alle haben immerhin für die Interessen ihres Landes gekämpft – ob man diese Interessen nun geopolitisch, mit der internationalen Solidarität oder der Präsenz in der Region begründen will. Jedenfalls hatten sie Politruks, die ihnen wenigstens das gesagt haben.
Die Rechtfertigung der Todesfälle ist eine ganz wichtige Angelegenheit. Das ist die erste Phase der Rehabilitierung. Eine Bekannte, die früher als Leiterin eines psychologischen KGB -Labors tätig war, sagte mir, ein Mensch, der unmotiviert, also ungerechtfertigt («in wessen Namen?») Grausamkeit hat erkennen lassen, dessen Persönlichkeit verfällt sehr rasch. Tod und Leiden gehen nicht spurlos an einem vorüber.
Was lässt sich an den Tschetschenien-Veteranen beobachten? Eine Rechtfertigung dieses Krieges – «in wessen Namen?» – gibt es bis heute nicht. Die Folge davon ist eine Generation von wütenden jungen Männern, durchdrungen vom Hass auf alles und jeden.
Lecha Nowikow, Träger des Tapferkeitsordens, hat mit ihnen nicht viel gemeinsam. Er ist ein unverbesserlicher Optimist. Sein Leben genießt er mit großen Schlucken, auf dem Teller lässt er keinen Bissen übrig. Das Leben selbst scheint aus ihm herauszusprudeln. Man kommt leicht mit ihm zurecht. Von der Wut und Gehässigkeit des Kriegsgefangenen keine Spur. Er macht niemanden für etwas verantwortlich. Hat Familie, den dreijährigen lebhaften Romek, eine Wohnung, seinen eigenen kleinen Bierhandel.
Man braucht nur ein paar Sätze mit ihm zu wechseln, schon hat man diesen offenherzigen Mann unwillkürlich ins Herz geschlossen. Die Bereitschaft, jedermann eine helfende Hand zu reichen, sieht man ihm auf den ersten Blick an. Und wenn man ihn dann näher kennenlernt, kann man sich kaum vorstellen, dass er
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