Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
‹Bravo, nicht gelogen. Da du nicht gelogen hast, werden wir dich erst mal nicht umbringen.› Ich sagte: ‹Und woher wisst ihr, dass ich nicht gelogen habe?› – ‹Guck mal, da›, zeigten sie mit der Hand, ‹das ist dein Leutnant, Dima Kortikow.› Ich hörte, wie jemand wimmerte, wusste aber nicht, wer. Er war ein oder zwei Jahre älter als ich … Jedenfalls redeten sie mit mir, und dann gingen sie hin und schnitten meinem Leutnant den Kopf ab. In dem Augenblick verstand ich, dass sie mich umbringen würden.»
Neunmal gingen sie daran, Lecha den Kopf abzuschneiden, aber immer kam er irgendwie davon. Eins hatte er verstanden – er musste sich untypisch verhalten. Sie aus der Fassung bringen, etwas Überraschendes sagen, sie beschäftigen. Nur das konnte ihn retten.
«Sie setzen das Messer an, und ich – ‹warte, warte, lass mich eine rauchen, erst danach!› Dann das Streichholz – ‹vielleicht hebe ich mir das auf?› Wozu braucht jemand, dem gleich der Kopf abgeschnitten wird, ein Streichholz? Kleinigkeiten, aber sie können einen verwirren. Ich hatte Zigaretten der Marke ‹Prima›, die stinken fürchterlich. Schon bringen sie mir zwei Päckchen ‹Parlament› – ‹rauch jetzt mal normale, sonst kriegen wir hier keine Luft …› Und jedes Mal kam ich irgendwie davon. Manche Leute sind zusammengebrochen – ‹mach, was du willst, schneid mir die Kehle durch› – und lagen da wie ein Opferlamm. Mir ist das nicht passiert, ich habe um mein Leben gekämpft. Es war sogar interessant. Die Diskussionen mit denen …»
In dieser Schule behielten sie Lecha nicht lange – nur einen Tag. Am nächsten Tag brachten sie ihn irgendwo ins Hinterland.
Als der Schmerz nach dem Gerüttel der Fahrt nachließ und er wieder so viel sah, dass er Gegenstände unterscheiden konnte, stellte sich heraus, dass Lecha sich in einem Zimmer befand. An der Tür – Männer mit Maschinenpistolen. Darunter ein großer, kräftiger Kerl mit besonders starkem Bart – man sah sofort, dass er der Chef war. Er sah Lecha an: «Schmerzen?» – «Ja.» Er sagte etwas in seiner Sprache und ging weg. Nach einiger Zeit kam ein Arzt und schaute sich die Wunde an. «Weißt du, wer das war?», fragte er. «Nein.» – «Das war Schamil Bassajew, unser Kommandeur.» Und dort, im Stab des Feldkommandeurs Schamil Bassajew, als er sah, wie der Arzt ihm das Bein verband, verstand Lecha endgültig, dass sie ihn nicht umbringen würden. Bassajew hatte das aus irgendeinem Grund so entschieden.
«Bassajew machte den Eindruck auf mich … Nun, ich weiß nicht, wie ein ganz normaler Kerl. Stell dir vor, es kommen irgendwelche fiesen Leute und fangen an, deine Verwandten umzubringen, da greifst du doch auch zur Maschinenpistole und legst sie um, oder? Nichts anderes haben sie getan. Was habt ihr hier in unserem Land zu suchen? Das ist ihre Einstellung zu diesem Krieg. Russland will seine Ordnung durchsetzen, und wir kämpfen. ‹Was zum Teufel hattet ihr in Dagestan zu suchen?›, frage ich. Darauf konnten sie mir nicht antworten. ‹Ihr tut seit dreihundert Jahren nichts anderes als kämpfen, arbeitet nicht, tut nichts anderes.› – ‹Werd nur nicht frech, gleich werden wir’s dir zeigen›, und schon greifen sie wieder zum Messer … Ja, es sind Giftnattern, Blödhammel, Schweinehunde. Aber einer brachte mir dann Zigaretten. Ein anderer brachte mir nachts, als ich lag, eine Flasche Cognac – ich hatte Schmerzen, das sah er. ‹Trink›, sagt er, ‹dann wird es besser.› Ich sage: ‹Ich habe drei Tage nichts gegessen, ich kotz gleich, und ihr schneidet mir die Kehle durch.› Er brachte mir ein Fladenbrot und ein paar Würstchen. ‹Pass nur auf und erzähl meinen Leuten nichts.› Die Kämpfer hasse ich – sie haben meine Freunde umgebracht. Aber mich haben sie am Leben gelassen … Ich weiß nicht, ich bin durcheinander, ob ich sie verurteilen soll oder nicht. Ich habe gelernt zu vergeben.»
Aus diesem Stab brachte man Lecha, wiederum auf Bassajews Befehl, nach Grozny ins städtische Krankenhaus, wo verwundete Kämpfer behandelt wurden. Und hier geschah das zweite Wunder – die Tschetschenen operierten Lecha, flickten sein Bein zusammen und … legten ihm sogar einen Iljazarow-Apparat zur Stabilisierung an!
«Narkose gab es da nicht, sie schnitten einfach so drauflos. Fünf oder zehn Minuten lang habe ich gebrüllt, dann bin ich weggetreten. Als ich aufwachte, hatte ich so einen Iljazarow-Apparat am
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