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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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eigentlich gar nicht. Ich hatte keine andere Wahl. Die Uni habe ich verpasst, habe rumgetrödelt, lieber noch einen Monat länger Computer gespielt … Man sieht ja, was der Hauptgewinn war.»
    «Und dich zu drücken?»
    «Daran habe ich nie gedacht. Es ist auch kaum möglich, ehrlich gesagt. Bei der Musterung vor einem Jahr stellte sich heraus, dass ich kerngesund bin. Also das ist schon mal kein Grund. Und mit Geld wird er niemanden schmieren, hat mein Vater gesagt. Er will, dass ich selbst für mich aufkomme. Hat ja auch recht. Wenn ich selbst verdienen würde, dann vielleicht. Aber selbst dann würde ich mich nicht drücken. Das ist irgendwie nicht … Einerseits will man nicht anderthalb Lebensjahre verlieren, andererseits auch nicht minderwertig sein. Wenn ich ein Studium aufgenommen hätte, dann ja, aber die Frist habe ich verpasst.»
    «Dein Vater war selbst im Krieg. Was weißt du von der Armee?»
    «Ich habe seine Erzählungen gelesen. Alles, was ich von der Armee und vom Krieg weiß, weiß ich daraus. Ist schrecklich, natürlich. Die Rekrutenschinderei, das Prügeln. Außerdem bin ich jetzt der erste Jahrgang, der anderthalb Jahre dient, uns werden die alten Männer dort noch härter anfassen. Aber ich bin moralisch darauf vorbereitet. Obwohl, ich habe einen Freund, der dient irgendwo in Serpuchow, er sagt, das ist wie Pionierlager – keine Prügel, nichts. Der hat einen sehr positiven Eindruck.»
    «Was willst du denn überhaupt einmal werden im Leben?»
    «Wenn ich das wüsste, wäre ich heute an der Uni.»
    «Wie beurteilst du deine materielle Situation – arm, reich, Mittelklasse?»
    «Mittelklasse, würde ich sagen. Ich habe alles, was ich brauche. Mir geht es gut.»
    «In deinen Kreisen ist die Armee bestimmt nicht beliebt. Fühlst du dich nicht isoliert, dass du als Einziger zum Wehrdienst gehst?»
    «Nein, nein. Ich gehe nicht als Einziger, es gibt noch andere Bekannte. Mehrere.»
    «Bist du der Meinung, du erfüllst deine Pflicht gegenüber dem Vaterland?»
    «Nein, gar nicht. Ich muss da einfach hin, Wehrdienst, das muss sein. Ich würde ja sogar dienen wollen, aber nicht in so einer Armee wie heute. Die Armee sollte professionell sein, damit diejenigen dort hingehen, denen das gefällt und die das wollen. Statt sich mit allem möglichen Mist zu beschäftigen. Mir gibt die Armee gar nichts, das werden anderthalb verlorene Jahre sein.»
    «Hast du keine Angst, nach Tschetschenien zu kommen?»
    «Nein. Wehrpflichtige werden ja nicht dorthin geschickt …»
    «Das glaubst du … Und wenn doch?»
    «Ein bisschen kämpfen würde ich schon gern. Aber nicht in Tschetschenien. Das ist kein Krieg, das ist ein Unding, ein einziges Missverständnis. Wozu schickt man achtzehnjährige Jungs dorthin? In Tschetschenien würde ich nicht kämpfen wollen.»
    «Und wenn du dir vorstellst, bei uns würde ein Krieg ausbrechen, einer wie der Zweite Weltkrieg, du studierst am Institut und könntest darum herumkommen – würdest du trotzdem hingehen?»
    «Natürlich. Das klingt vielleicht blöd, aber ich bin Patriot, ich liebe mein Land, und wenn es angegriffen werden sollte, gehe ich sofort zur Armee. Und alle, die ich näher kenne, werden das auch tun. Die Mehrheit, neunzig Prozent, würde sich nicht drücken. Ich rede mit meinen Freunden nicht darüber, wir sagen nicht, toll, was für Patrioten wir sind, aber wenn es hart auf hart käme, wären wir dabei. Ich kann für sie sprechen, da bin ich sicher. Du verteidigst dabei ja nicht irgendein abstraktes Vaterland, sondern dich selbst, deine Familie, dein Land.»
    «Das heißt, du hast keine Lust auf die Armee, gehst aber hin, weil du noch weniger Lust hast, dich zu drücken. Aber wenn ein richtiger Krieg begänne, dann würdest du auf jeden Fall gehen, stimmt’s?»
    «Ja. Denn dann wäre das wirklich eine Pflicht der Heimat gegenüber. Ich würde mich und meine Angehörigen verteidigen. Und alle meine Bekannten auch.»
    Einen Tag nach diesem Gespräch erschienen zwei Mann mit Miliz bei Dmitrij, um ihn abzuholen, und fuhren ihn zum Sammelpunkt in der Ugreschskaja-Straße. Warum dies unter Zwang geschah, ist unverständlich – der Junge wollte nicht abhauen, er wartete auf den Gestellungsbefehl. Wahrscheinlich die Macht der Gewohnheit. Jedenfalls befindet sich Dmitrij Schejnin jetzt in Moskau. Weine nicht, mein Mädelein, bald wirst wieder heiter sein …

Der Profi
    Michail hat ein einmaliges Schicksal. Als Wehrpflichtiger kämpfte er in Afghanistan, in einer

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