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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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verstanden, damals dachte ich globaler. Jugoslawien war für mich ein westlicher Vorposten Russlands, ein Kollisionspunkt der Zivilisationen. Ich kam nicht an die Südfront, nach Tschetschenien, wo meine Klassenkameraden waren, ich kam an die Westfront.
    Die Kämpfe vom vierten bis achten August 1995 , als sie das Gebiet verloren, als eine Million Flüchtlinge unterwegs waren – das war die eindrucksvollste militärische Operation nach dem Zweiten Weltkrieg. Vier Tage schwerste Kämpfe. Man vertrieb die Serben vollständig aus der Krajina. Manche gerieten in Gefangenschaft, andere starben, wieder andere waren verschollen. Am achten August erklärte Kroatien, es habe diesen Feldzug gewonnen, und machte vor der Grenze zur Republika Srpska halt.
    Das alles nahm eine, anderthalb Wochen meines Lebens in Anspruch. Meine Abwesenheit wurde kaum bemerkt. Niemand wusste, dass ich dort war. Meinen Eltern hatte ich gesagt, ich gehe mit Freunden auf eine Wanderung, den Freunden, ich sei in den Bergen, meditieren. Danach nahm ich mich zusammen und immatrikulierte mich an der Universität.
    1999 meldete ich mich offiziell als Freiwilliger – für den Fall, dass die NATO Bodentruppen einsetzen würde. Aber als ich die Listen sah, stellte ich fest, dass von fünfzig Freiwilligen nur drei Serben waren. Jungs, fragte ich mich da, das sind doch eure Häuser, die da brennen, und was macht ihr? Das ließ meinen Wunsch, das Leben für die ‹Brüder› zu geben, doch stark abkühlen.»
    «Mit einem Wort, du bist nach Russland zurück. Warum?»
    «Antworten gibt es viele. Die wichtigste ist nicht rational. Ich liebe Russland einfach. Ich liebe meine Heimat. Ich bin um die halbe Welt gereist. Habe viel gesehen. Hier und da reingerochen. Und die Welt war nicht so, wie ich sie mir vorstellte. Auch nicht so, wie ich sie gern gehabt hätte. Ich sage nicht, dass alle anderen schlecht sind, nein. Aber außerhalb meiner Heimat, das ist eine völlig andere Welt. Eine fremde Umlaufbahn. Es gibt keine allgemeinmenschlichen, verbindenden Werte, das ist alles Unsinn. Wir sind verschieden.
    Und hier ist mein Zuhause. Im Ausland habe ich mein materielles Leben gehabt, ja, ich hätte noch zehn Jahre arbeiten können und dann mit dicker Zigarre auf Bali abhängen können. Aber ich will anders leben. Auf ehrliche Art. Ich wollte meine Erfahrung einbringen – wir brauchen uns vor dem Ausland nicht zu schämen. Wir sind so viel tiefgründiger als jene Welt! Es ist geradezu erstaunlich, was für schöne, starke, geistige Menschen wir sind. Das bessere Leben ist nicht dort im Westen. Es ist hier. Und wenn du mich fragst, ob ich bereit bin, dafür zu kämpfen, antworte ich: Ja. Nicht für das jetzige Regime, nicht für die Machthaber, aber für unsere einfachen Menschen, für das Land und unseren Himmel. So wie meine Vorfahren es 1914 und 1941 getan haben.»

Der Wehrpflichtige
    Das ist jene Sorte Mensch, die gar nicht daran denken, die Welt zu verändern. Sie wollen einfach ein bequemes Leben haben, ohne über Geopolitik oder dergleichen nachzudenken. Sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, ihre Mittelschicht. Patriotismus, Pflicht, Ehre und Vaterland – das sind keine Begriffe aus ihren Kreisen. Und dennoch …
    Dmitrij Schejnin ist achtzehn. Wehrpflichtiger. Er wird zur Armee gehen. Es wäre falsch zu behaupten, dass er nur geht, weil er es will, weil er es für richtig hält. Er ist mit dem Strom geschwommen, hat die Einschreibung am Institut verpasst und ist am Ende beim Wehrersatzamt hängengeblieben. Jetzt bleibt nur noch der Wehrdienst. Sich irgendwie davor zu drücken, erlaubt ihm der Vater nicht.
    Schejnin senior war in Afghanistan, er war in Alichejl bei den Luftlandetruppen. Heute hat er eine sehr hohe Stellung, ist Leiter des Programms «Zeiten» im ersten TV -Programm – de facto der zweite Mann nach dem Fernsehjournalisten Wladimir Pozner. Er hat das allein geschafft, ist ein sogenannter Selfmademan. Wenn Sie am Freitagabend den Fernseher anschalten, dann sehen Sie seine Arbeit.
    Ein Journalist dieses Kalibers und mit diesem Einfluss muss seinen Sohn vor der Armee bewahren, sollte man meinen, zumal er selbst ihre Reize am eigenen Leib erfahren hat.
    Dennoch wird Schejnin junior dienen. Ganz, ganz ungewöhnlich für unsere Zeiten. Obwohl – aus moralischer Sicht dann doch ganz normal.
    Aber Dmitrij hat seine eigene Meinung zu diesem Thema.
    «Warum hast du beschlossen, zur Armee zu gehen?», frage ich ihn.
    «Beschlossen habe ich’s

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