Ein toedlicher Plan
zu Fuß zur Fifth Avenue.«
»Vielleicht sollte ich das auch tun und aufs Taxi verzichten. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Lassen Sie mich doch bei Gelegenheit wissen, wie es Ihnen auf der Uni ergeht.«
Taylor hatte schon damit gerechnet, sich in einer klassischen Detektivrolle bewähren zu müssen – Fahrer, folgen Sie dem Wagen vor uns. Ist ’n Fünfer extra für Sie drin. Aber das blieb ihr erspart. Dudley machte sich tatsächlich zu Fuß auf den Weg zu dem oder der geheimnisvollen W. S., den oder die er bereits in der Nacht aufgesucht hatte, in der der Wechsel verschwunden war.
Als er sich einen Block entfernt hatte, nahm Taylor die Verfolgung auf. Er bewegte sich nach Westen über die glitzernde Nässe auf den Bürgersteigen, vorbei an den Schaufensterauslagen, die aus Sicherheitsgründen alle hell erleuchtet waren. Auf den Straßen herrschte noch verhältnismäßig viel Verkehr. Die ersten Theater entließen ihre Besucher, andere Nachtschwärmer kamen aus den Restaurants, um die exotisch funkelnden und trübe beleuchteten Nachtclubs anzusteuern, aus denen wie aus einem Bienenstock die unterschiedlichsten Rhythmen summten. Taylor spürte die strahlende Energie New Yorks, sah eine Million Lichter, die heller und mit größerem Variantenreichtum leuchteten als die Sterne, bemerkte die Menschen, die sie, von einer inneren Kraft angetrieben, passierten, und stellte fest, dass sie schneller werden musste, um mit dem Tempo der Stadt Schritt halten zu können. Dabei wäre sie fast an Dudley vorbeigelaufen. Sie wurde wieder langsamer und ließ ihm genügend Vorsprung.
Schließlich erreichten sie den Times Square. Dudley beschleunigte seine Schritte und sah mehrmals auf die Uhr. Taylor betrachtete seinen alten grauen Mantel, dessen Schultern herabhingen, und die braunen Halbschuhe, die an den Absätzen abgelaufen waren.
Dann ging es weiter, hinaus aus der geradezu taghellen Beleuchtung am Square, immer noch Richtung Westen. Taylor verspürte zum ersten Mal so etwas wie Angst, als sie die unsichtbare Grenzlinie zum Rotlichtviertel überschritt. Die PR-Agenturen, die für den Stadtplaner New Yorks tätig waren, nannten diesen Teil der City Clinton. Die Bevölkerung hingegen blieb bei dem alten Namen für diese Gegend, Hell’s Kitchen.
Taylor setzte ihre Verfolgung fort, auch dann noch, als Dudley die Twelfth Avenue nahe am Fluss erreichte und sich dort nach Süden wandte, wo die Straßenbeleuchtung spärlicher ausfiel, die Straßen verwahrlost aussahen und keine Mädchen und Transvestiten mehr in der Kälte herumstanden und die Männer anhielten, um sie zu fragen: Wie wär’s denn mit uns zwei, Süßer?
Plötzlich blieb Dudley so unvermittelt stehen, dass Taylor, tief in Gedanken, sich nur durch einen raschen Sprung in einen Hauseingang davor retten konnte, von ihm entdeckt zu werden. Auf den Stufen, die zur Haustür führten, stank es nach Urin. Brechreiz stieg in Taylor hoch, als sie sich tiefer in die Schatten drückte. Nach ein paar Sekunden schob sie vorsichtig den Kopf vor und blickte sich um. Von Dudley war nichts mehr zu sehen. Sie wartete noch fünf Minuten, in denen sie weder seine Schritte noch seine Stimme hörte, sondern nur den zähflüssigen Verkehrsstrom auf dem West Side Highway. Taylor atmete flach und durch den Mund, um sich nicht übergeben zu müssen. Dann trat sie aus dem Versteck und marschierte auf das zweistöckige Gebäude zu, durch dessen Tür Dudley verschwunden sein musste. Kein Licht drang aus den blind gestrichenen Fenstern. Auf einem alten, von Wind und Wetter in Mitleidenschaft gezogenen Schild stand:
WEST SIDE ART AND PHOTOGRAPHY CLUB
Das hatte also das W. S. in seinem Notizbuch zu bedeuten, ein Ort, nicht eine Person. In der fraglichen Samstagnacht musste er irgendwann hierher gekommen sein. Aber wen hatte er hier sehen wollen? Einen Zeugen? Einen Mitverschwörer? Womöglich denjenigen, dem er den Wechsel verkauft hatte?
Taylor legte den Kopf schief und lauschte. Sie glaubte, etwas zu hören. Warte, sagte sie sich, nur die Ruhe. Sie versuchte den Verkehrslärm auszusperren und ihre Ohren auf die Geräusche aus dem Club zu konzentrieren. Ja, da ertönte eine Melodie, sülzige Orchestermusik mit vielen Geigen, so ähnlich wie Mantovani.
Taylor stellte sich in einen Hauseingang, lehnte sich an den Türpfosten und beobachtete ein paar Ratten, die sich auf der anderen Straßenseite über einen Abfallhaufen hermachten.
Wer hineingeht, muss auch wieder herauskommen, dachte
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