Ein Toter hat kein Konto
Testament zu bedenken, wenn er mich nach
Sceaux hinausfahren würde. Lachend erwiderte er, ihm sei ein sattes Trinkgeld
lieber. Ich verstand ihn, er verstand mich, und ab ging’s in den reizenden Vorort,
wo mich vielleicht die nächste Leiche erwartete. Wenn einen das Glück nämlich
erst mal verfolgt...
* * *
Ein Renault der Polizei stand vor La
Feuilleraie. Ich sah den Wagen gleichgültig an, und der Flic am Steuer sah
ebenso gleichgültig zurück. Ich läutete am Eingangstor. Der Portier öffnete
mir. Im selben Moment ging die Haustür auf, und Florimond Faroux erschien
zwischen den beiden Lampenträgerinnen. Wie der Esel, der sich nicht zwischen
zwei Heubündeln entscheiden kann! Hinter ihm tauchte Grégoire auf, einer seiner
Männer. Albert, der Butler, vervollständigte das hübsche Gruppenbild.
„Na sowas!“ rief der Kommissar. „Da kommt ja
Nestor Burma!“
Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen und schob
seinen schokoladenbraunen Hut mit dem Daumen auf den Hinterkopf, so wie es die
Gangster im Film tun. Auch er wurde von Riton-dem-Spinner angesteckt! Ich ging
die Treppe hinauf und gab meinem Freund die Hand.
„Grégoire kennen Sie doch, oder?“ sagte er und
wies auf den Inspektor.
Ich nickte. Der dicke Grégoire lachte.
„ Wir treffen uns immer auf dem
Lande “, stellte er fest.
„Was tun Sie hier?“ fragte mich Faroux.
„Und Sie?“ fragte ich zurück.
Mit leiser Stimme fügte ich hinzu:
„Ich habe Monsieur Flauvigny eine betrübliche
Nachricht zu überbringen.“
„Von dem Tod seines Freundes und Arztes?“
„Was ist das denn überhaupt für eine
Geschichte?“ ereiferte ich mich. „Ganz Sceaux ist in Aufruhr... Ach, verstehe!“
rief ich und machte ein Gesicht wie jemand, der schneller kapiert als ein
Pferd, aber langsamer läuft. „Jetzt verstehe ich, warum Sie hier sind!“
„Aber ich nicht, warum Sie hier sind“,
knurrte Faroux. „Doch das trifft sich gut, ich wollte sowieso mit Ihnen reden.“
„Aber nicht hier auf der Treppe“, sagte ich.
„Haben Sie kein stilles Örtchen für uns, Albert?“
„Wir können uns genausogut in unserem Wagen
unterhalten“, schlug Faroux vor.
„Ich würde neutralen Boden vorziehen“, sagte
ich. „Na ja, egal. Bis gleich, Albert. Fragen Sie bitte Monsieur, ob er mich in
zirka zwanzig Minuten empfangen kann. Ich hoffe, Ihr Besuch hat ihn nicht zu
sehr ermüdet“, fügte ich an Faroux’ Adresse hinzu. „Er hat ein schwaches Herz.“
„Und ich habe einen empfindlichen Magen“, lachte
der Kommissar. „Also, servieren Sie mir nicht zu dicke Brocken! „ Wir gingen
zum Polizeiwagen und zwängten uns hinein. „Fahren Sie los“, befahl mein Freund
dem Chauffeur, um sich dann mir zuzuwenden: „Nun, Burma, besteht ein
Zusammenhang zwischen dem schwachen Herzen des Schloßherrn und der betrüblichen
Nachricht, die Sie ihm überbringen wollen?“
„Ein direkter: Sein Sohn ist tot.“
Faroux und Grégoire fuhren so erschreckt hoch,
daß der Renault beinahe umkippte.
„Was?“ schrie Faroux. „Tot? Wieso tot?“
Ich erklärte ihnen das Nötigste, wobei sich der
Rauch meiner Pfeife mit dem ihrer Zigaretten vermischte.
„Ein Unfall, sagen Sie?“ murmelte Faroux,
nachdem ich geendet hatte.
Ich nickte. Der Kommissar überlegte.
„Und was wollten Sie bei dem jungen Mann?“
„Ihn besuchen.“
„Kannten Sie ihn denn?“ fragte Grégoire.
„Ein wenig. Nicht so gut wie seinen Vater.“
„Womit hat er Sie beauftragt?“ erkundigte sich
Faroux unvermittelt.
„Mit nichts. Unsere Beziehung ist nicht
geschäftlich.“
Ich erzählte ihnen die rührende Geschichte von
dem Hilfsarbeiter, der zum Freund des Chefs aufgestiegen war. Eine Verbindung
von Arbeit und Kapital eben. Wie das Leben so spielt!
„Hm“, brummte Faroux. „Und jetzt wollten Sie ihm
die Sache ganz behutsam beibringen... Kennen Sie einen Mann namens Reboul? Er
ist doch einer Ihrer Mitarbeiter, nicht wahr? Heute morgen hat er sich hier in
Sceaux herumgetrieben.“
„Ich glaub, ein Freund von ihm wohnt in der
Gegend.“
„Hat er mir erzählt. Na ja, das wird sich
feststellen lassen. Reden wir erst mal von Dr. Péricat, Hausarzt von Flauvigny
und seit etwa zwanzig Jahren Freund des Hauses. Noch eine Geschichte, die zu
Herzen geht! Zwischen elf und Mitternacht ist der Arzt erschossen worden...
mitten ins Herz! Der passende Revolver lag neben ihm auf dem Boden. Sollte wohl
nach Selbstmord aussehen. Meiner Meinung nach ist er jedoch ermordet
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