Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

oder sich bedroht fühlen, werden sie entweder gemein, oder sie versuchen, lustig zu sein. Und beides bringt man leicht einmal durcheinander ...«
    Aber sie hörte nicht zu, und ihre Augen wurden feucht. »Und dann lernte ich im Chor diesen Mann kennen, einen Baß ...«
    »-tard«, ergänzte ich.
    Sie schaute mich nachsichtig an, betupfte sich die Augen und legte sich die Serviette auf den Schoß. »Wir müssen so langsam ans Aufbrechen denken.«
    »Wird er heute auch dasein, dieser Mann?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Als er starb, vor sechzehn Jahren war das, wissen Sie, was da mein Göttergatte sagte? >Stell dir doch einfach vor, wie er in dem verdammten Engelchor seine Liedchen schmettert. Dürfte ja eh seine Vorstellung vom Himmel sein.< Dann brachte er sein Gesicht ganz dicht an meins und lachte. Zu der Zeit haßte er mich bereits, aber ich war ihm nie untreu oder sonstwas.« Sie stand auf und strich sich mit der Serviette an verschiedenen Stellen übers Gesicht. »Aber ich sollte Sie nicht mit diesen Geschichten belasten.«
    Sie ging zum Fenster, um nachzusehen, ob das Taxi schon da war. Ich sah eine Straßenlaterne anspringen und in ihrem Lichtkegel eine Fahne leichten Regens. Im hell erleuchteten Zimmer eines Hauses gegenüber lehnte eine Frau, die Ellbogen auf den Sims gestützt, im Fenster und schaute zum Himmel hoch, eine der vielen, die an diesem Abend nichts zu tun hatten und nirgendwohin wollten.
    »Es tut mir leid, Maureen«, sagte ich. »Ich kann Ihnen keine solchen Geschichten erzählen. Auch meine Ehe ging in die Brüche. Vielleicht mit Bedauern, aber ohne Haß. Den Fernseher mal ausgenommen, hatte Kultur damit nichts zu tun. Auch ohne Kultur ist das alles schon bestürzend genug. Was ich meine, ist ...« Aber ich wußte nicht, was ich meinte.
    Sie zog die Vorhänge zu, als die Frau gegenüber mit extremem Abscheu etwas zu schreien schien, aber es war nur ein Gähnen.
    »Das Taxi ist da«, sagte sie.

    Ich half ihr in den Mantel, und sie blieb einen Augenblick zwischen meinen Händen, bevor sie mir voraus durch die Tür ging und die steile Treppe hinunterstieg. Bei mir unterdessen flüchtige Gedanken über die Mousse, meine Kunstlosigkeit, die langen Perioden des Elends in ihrem Leben, den toten Mann mit der tiefen Stimme, meine gräßlichen Witze und wie das Wort den Pfadfinder für das Fleisch spielt. Und so behielt ich im Taxi meine Hände strikt bei mir, eingeklemmt zwischen den Schenkeln, und achtete auf einen deutlichen Abstand zwischen uns.
    »Nervös?« fragte ich.
    »Ein bißchen«, erwiderte sie.
    Ich streckte die Hand aus, um ihre zu drücken, aber wie ihre Gedanken war auch ihre Hand woanders, und meine Zuckung der Zuneigung lief an der Handtasche ins Leere.
    In der Kirche saß ich ziemlich weit hinten, aber ich konnte sie trotzdem gut erkennen, weil sie bei weitem die Größte in ihrer Reihe war und ihren Mund weiter offen hatte als die anderen, als versuche sie, den Dirigenten auf sich aufmerksam zu machen und ihn vor bevorstehenden Schwierigkeiten zu warnen, falls er sich jetzt nicht beruhige und sich ganz auf das eine konzentriere. Die einzigen Sänger mit noch größeren Mündern waren beide Bässe, die beständig miteinander im Wettstreit zu liegen schienen, ohne darauf zu achten, was ansonsten vor sich ging. Ich zählte acht Sänger, die immer nur zeitweise zu singen schienen, Anfänger vielleicht oder nur da, um ihre Lieben im Auge zu behalten. Das Orchester hatte bei der ganzen Sache nicht viel zu bestellen, und so sahen die Musiker auch aus; wenn man davon ausging, daß sie bezahlt wurden, waren sie wohl nur wegen dieser Noten da. Die Solisten dagegen sangen sich die Seele aus dem Leib.
    Ich schaute mir nun die Reihen der Frauen ein wenig eingehender an und stellte mir einige von ihnen ähnlich leidenschaftlich in anderen Situationen vor. Unter den Männern war der Anteil der Bartträger höher als im Bevölkerungsdurchschnitt, und ich versuchte, ihre Berufe zu raten, vorwiegend öffentlicher Dienst, vermutete ich, da sie hier und dort ein bißchen Engagement zeigten. Doch dann lauschte ich, mit geschlossenen oder zufallenden
Augen, über lange Strecken hinweg einfach nur der Musik, anstatt von anderen Dingen zu träumen. Und das machte mich glücklich — das und der Gedanke, daß Leute von Zeit zu Zeit aus so einem Grund zusammenkamen und so viel frische Kraft daraus schöpften.
    Als wir zu Fuß zu ihrer Wohnung zurückgingen und ich ihr sagte, daß es mir sehr gefallen