Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
bestätigen, sagte ich: »Denk dran, du mußt bei DISem Bahnhof aussteigen, nicht bei DEm.« Was ich mir natürlich vorab überlegt hatte und was immerhin einen ihrer so liebenswürdigen Kicheranfälle wert war, den ich mir so erhofft hatte.
Das war das erste Mal in meinem Leben, daß meine Uhr stehenblieb, weil ich vergessen hatte, sie aufzuziehen. Keine Theorien darüber, vielen Dank: Die Art, wie ich zum Bahnhof fuhr, würde sie alle widerlegen. Als ich schließlich ankam, stand sie bereits da, den Regenmantel über dem Arm, einen mit Sicherheit viel zu großen Koffer neben sich und mit einer verärgerten, fast schon verzweifelten Miene auf dem Gesicht. So daß, als ich dann endlich
bei ihr war, mich bückte, um ihren Koffer aufzuheben, mich aufrichtete, um sie auf die Wange zu küssen, mich wieder bückte und einen aufgegangenen Schnürsenkel band, tief einatmete und sagte, wie leid es mir tue, der verdammte Verkehr, meine juckende Haut und ihre feuchten Stellen mir das Gefühl gaben, ich würde Kleidung aus irgendeinem Schwamm-Material tragen, das noch nicht ganz ausgetrocknet war. Es war ein schwüler Abend, oder vielleicht nicht? Bei meinem Auto angekommen, bemerkte ich, daß auch ihr Gesicht gerötet war und sie nicht viel sagte. Natürlich hatten wir nur eins im Kopf oder, genauer, Diverses, das eng miteinander zu tun hatte oder noch nicht.
Ich fuhr mit Umsicht nach Hause, schlängelte mich aber flink und geschickt durch gelegentlich auftretenden, dichteren Verkehr und fluchte nur einmal, als ein brandneuer, malvenfarbener Japaner mit bereits zwei Dellen im Blech direkt vor mir unvermittelt stoppte. »Du Ar...«, schimpfte ich, streckte den linken Arm aus und drückte ihn ihr schützend an den Körper, doch etwas zu hoch. Der Fahrer war eine Frau mit hoch aufgetürmten Haaren.
»Frauen am Steuer«, sagte ich. »Sie bringen dich zum Trinken, dann gefällt ihnen der Pub nicht, und sie wollen dich wieder nach Hause fahren.« Was Blödsinn war, denn meiner Erfahrung nach sind Männer fiesere Fahrer als Frauen, allerdings auch raffiniertere, was aufs gleiche hinausläuft.
Als wir das Auto überholen konnten, erwies sich der Fahrer als Sikh. »Wie ich sehe, haben sie es jetzt sogar schon bis East Anglia geschafft«, sagte Maureen. »Sehen sie nicht alle aus wie Fanatiker? Ist ein Wunder, daß sie überhaupt den Führerschein schaffen.«
Und die beiden starrten einander böse an. Ob ihr klar war, daß er so unvermittelt gebremst hatte, um nicht einen Hund zu überfahren?
»Bei ihrem Fahrstil können sich einem schon manchmal die Haare aufstellen«, sagte ich. »Je älter sie sind, du weißt schon, desto höher ist der Turban.«
»Igitt«, erwiderte sie.
Ich erklärte ihr, daß ich sie als meine Schwester ausgab. »Du kennst doch diese Dörfler. Da schaut jeder dem anderen auf die
Finger.« Erst in diesem Augenblick fragte ich mich, was wäre, wenn wir wirklich zusammenblieben. Man würde dann auf mein Häuschen zeigen und sagen: Dort wohnt Tom Ripple, der Kerl, der sich für seinen Lebensabend seine Schwester ins Haus geholt hat.
Aber ihre Absichten waren nicht fortgeschrittener als meine, denn sie lächelte zufrieden, und die Röte von vorher wich ihr langsam aus dem Gesicht. »Sorget euch nicht um den morgenden Tag ... Die Bergpredigt.«
»Du meinst, selig die Armen im Geiste?«
Was ich für witzig hielt, doch sie legte mir die Hand aufs Knie und sagte: »Du solltest dein Licht nicht so unter den Scheffel stellen.«
Nun fuhren wir über Landstraßen, und der Verkehr wurde spärlicher. Ich erzählte ihr, ich hätte im Radio das Konzert gehört, das sie in der vergangenen Woche besucht hätte, und hätte dabei gelauscht, ob ich ihr Klatschen hörte. Sie fragte mich, was ich über das Konzert gedacht hätte, und ich sagte ihr, gedacht hätte ich vorwiegend an sie, was auch stimmte, zumindest dann, wenn ich auf die eher seltenen Melodien wartete, denn um sie herum war so viel dickes und undurchdringliches Zeug, daß sie wirkten wie Quellen, die plötzlich an steilen, bewaldeten Berghängen hervortreten. Anschließend erzählte sie etwas von Struktur und Harmonie und der katastrophalen Woche, die sie im Büro gehabt hätte, wegen der vielen Krankgeschriebenen und Aushilfskräfte und dem ganzen restlichen Gesindel. So langsam verstand ich, warum sie in Konzerte ging. Allmählich entspannten wir uns, und ich bereitete sie darauf vor, was es zum Abendessen geben würde.
Die Ungezwungenheit miteinander
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