Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
zu baden, weniger, aber gesünder zu essen. Als ich nach Hause kam, goß ich mir deshalb zuerst einmal einen großen Whisky ein, zündete mir einen Stumpen an und richtete mir einen großen Teller mit Fischstäbchen und Pommes her, die ich mir dann so ziemlich den ganzen Abend lang in den Mund steckte. Und es gab noch eine andere Traurigkeit: daß ich jetzt dort nicht mehr hinkonnte, daß es mir wirklich großen Spaß gemacht hatte, zum Beispiel, mir zu überlegen, wo ich meinen Milchmädchenstuhl, wenn er erst einmal lackiert und poliert wäre, hinstellen würde. Unter den Spiegel in der Diele, als Ablage für das Telefonbuch neben dem Telefon. Meine kreativen Instinkte taugten nicht ausschließlich zur Zielscheibe des Spotts: So furchtbar ungeschickt ich auch gewesen sein mochte, wollte ich doch etwas Nützliches und Dauerhaftes schaffen. Wie auch immer, es war einer der introspektivsten Abende meines Leben, und er brachte mir rein gar nichts außer einem Rausch.
In den nächsten beiden Tagen ließ ich mich im Zentrum nicht sehen, und am Abend darauf wehten Geoffrey und Gwen wie alte Kumpel ohne Anklopfen herein, und Geoffrey fragte: »Und, wo ist die Flasche, Sie alter Taugenichts?«
Gwen ließ sich auf mein Sofa fallen und schaute gewinnend zu mir hoch, strich sich über die Oberschenkel und schob dabei ihr Kleid mit hoch. »Wir haben Sie heute vermißt, Tom«, sagte sie. »Mußte die ganzen Sachen für Diss einpacken. Das haben Sie doch nicht vergessen, oder? Würde gar nicht zu Ihnen passen.« Dann schaute sie Geoffreys Rücken an und blinzelte mir zu.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Mir geht’s gerade nicht so besonders.«
Geoffrey fand die Flasche und schenkte für sie beide ein. Dann plauderten sie, ich weiß nicht mehr, worüber, als wäre nichts geschehen. Nein, ganz so war es nicht. Sie waren ganz besonders nett zu mir, und ich hätte gesagt, sie hätten versucht, es mir gegenüber wiedergutzumachen, wenn sie nicht gleichzeitig genauso heftig versucht hätten, nicht zu lachen. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie gesagt hätten: »Tut uns leid wegen neulich, Tom. Das war blöd von uns.« Aber sie dachten es nicht einmal. Warum waren sie dann hier? Aus Neugier und Mitleid? Oder wegen irgendwelchen unbestimmten Gewissensbissen? Vor allem hätte ich es sehr schön gefunden, wenn Geoffrey mir in meinem eigenen Haus ebenfalls einen Whisky eingeschenkt und sie wenigstens ein paar ihrer Bemerkungen an mich gerichtet hätten, so daß ich mir nicht so hätte vorkommen müssen, als wäre ich unangemeldet bei ihnen hereingeplatzt. Geoffrey goß sich eben einen zweiten Drink ein, als ich mich sagen hörte: »Na ja, eigentlich spiele ich mit dem Gedanken an einen Umzug.«
Nach einem Schweigen, währenddessen sie sich gegenseitig mehr anstarrten als mich, sagte Gwen: »O nein!«, worauf Geoffrey ergänzte: »Na, so was!« Ich gab ihnen reichlich Gelegenheit, sich genauer darüber auszulassen, bevor ich, in Zeitlupe, Geoffrey die Flasche aus der Hand nahm, den Deckel sehr fest daraufschraubte und sie in den Schrank zurückstellte.
»Ich weiß, das dürfte ein ziemlich Schock für euch sein«, sagte ich dann leise. »Aber ich muß näher bei der Familie sein. Alte Mutter und so.« Obwohl sie zu der Zeit schon sechs Monate tot war, worüber ich in Kürze zu schreiben versuchen werde. »Na ja, aber so ist es eben. Ihr werdet versuchen müssen, ohne mich zurechtzukommen.«
Dies brachte Gwen, nach einigen seitlichen Bewegungen und einem schweren Aufseufzen, auf die Beine, wobei sie in meinem Sofa eine Delle hinterließ, die, wie ich seelenruhig bemerkte, nur bedeuten konnte, daß die Sprungfedern in ihrem Kern ernsthaft verschoben waren. Ein deutlich hörbares, heiseres Pling bestätigte
dies, als sie zu mir kam, um mich auf die Wange zu küssen. Es fühlte sich naß an, eher so, als hätte sie mich kurz abgeschleckt.
»Wir werden Sie vermissen, Tom«, sagte sie.
»Mit Sicherheit«, ergänzte Geoffrey.
»Ich werde euch auch vermissen«, sagte ich, und in diesem Augenblick glaubte ich es sogar, auch wenn ich selber es war, den ich in dieser Umgebung vermissen würde, bevor der Schatten darauf fiel. Deshalb fügte ich hinzu: »Bemüht habe ich mich ja, nur das Talent hat nicht ganz gereicht. Aber ihr wart sehr geduldig mit mir.«
»Ganz und gar nicht. Sie wissen, daß Sie jederzeit willkommen sind«, murmelte Geoffrey hinter Bart oder Handgelenk oder sonst etwas hervor. Er war verdammt erleichtert, das war
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