Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
recht gut entsinne, dass ich dich an deinem zwölften Geburtstag grün und blau geschlagen habe.«
Stephen überlief ein Schauder. »Weißt du noch, was dann geschah? Gott, ich glaubte schon, dein Vater würde uns ewig in der Kapelle einsperren!«
Ein Schatten fiel auf Cams Miene. »Mein Vater war ein wahres Ekel. Die Sache mit der Kapelle hatte ich völlig vergessen. Wir haben den ganzen Tag dort drin verbracht, nicht wahr?«
»Und die halbe Nacht dazu. Es war dunkel und kalt. Ich kann mich auch entsinnen, dass ich fast verhungert wäre.«
»Mir ist nur noch meine furchtbare Angst in Erinnerung geblieben. Er hatte mir erzählt, dass mir der Geist meiner Mutter erscheinen würde, wenn ich unartig wäre. Deshalb habe ich mich jahrelang in dunklen Zimmern gefürchtet.«
Stephen legte seine Pfeife ab und schaute seinen Cousin über den Tisch hinweg an. »Das war aber wirklich gemein, Cam. Hat er dir wirklich eingeredet, deine Mutter wäre ein Geist?«
»Leider ja. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich mir nicht mehr vorgestellt habe, dass meine Mutter im weißen Laken aus dem Schrank springen und mich zu Tode erschrecken würde.« Cam nahm sich ein Glas Brandy von einem Tablett, das ihm ein Diener hinhielt.
»Davon habe ich überhaupt nichts gewusst. Ich weiß noch, wie du mir unaufhörlich Witze erzählt hast, damit ich aufhörte zu weinen. Ich habe mich furchtbar geschämt, weil du keine einzige Träne vergossen hast, obwohl du fünf Jahre jünger warst.«
»Damals hast du den ganzen Sommer bei uns verbracht, nicht wahr?«
Stephen nickte. »Meine Eltern waren auf den Kontinent gereist.«
»Zu der Zeit war ich schon an seine Strafen gewöhnt. Aber im Dunkeln fürchte ich mich immer noch und pflege Witze zu erzählen, um es erträglicher zu machen.«
Stephen zog an seiner Pfeife. In seinen Augen spiegelten sich Trauer und Mitleid.
Cam wandte den Blick ab. Er hasste es, bemitleidet zu werden, doch noch mehr hasste er es, sich zu verstellen. In dem Leben, das er sich geschaffen hatte, gab es keinen Platz für Lügen, die nur dazu dienten, das eigene Ansehen zu schützen. Das war die Spezialität seines Vaters gewesen.
»Sie macht dir keinen Vorwurf, dass du nicht zurückgekehrt bist«, sagte Stephen nach einer Weile.
»Wer? Gina? Warum sollte sie auch?«
»Weil du ihr Ehemann bist, du Idiot. Weil du für sie verantwortlich warst – oder bist – und diese Verantwortung seit Jahren vernachlässigt hast.«
»Was redest du denn da? Ich habe nie auch nur einen Penny aus dem Besitz entnommen, das weißt du nur zu gut. Ich hab dem Alten in einem Wutanfall geschworen, dass ich es nicht tun würde, und hab es auch nicht getan.« Er schaute seinen Cousin und Freund mit einem spitzbübischen Glitzern in den Augen an. »Allerdings lebe ich von den Einkünften, die ich mit üppigen rosafarbenen Statuen erziele, wie du sie so schön nennst.«
Stephen seufzte. »Sie ist deine Frau , Cam. Deine Ehefrau . Du hast sie geheiratet, als sie elf war, und bist dann zwölf Jahre lang fortgeblieben – und jetzt, meinst du, erschöpft sich deine Verantwortung darin, den Besitz weiterzugeben?«
Cam grinste unbeeindruckt. »So ungefähr. Du kannst es gern versuchen, wirst es aber nie schaffen, mir dieses engstirnige englische Verantwortungsbewusstsein, das dir angeboren ist, in meine schwarze Seele einzupflanzen. Das Einzige, was mich interessiert, ist, wo ich meinen nächsten Marmorblock auftreibe. Gina und ich wissen nur zu gut, dass wir gar nicht richtig verheiratet sind. Warum also hätte ich zurückkehren sollen, bevor sie mich darum bat?« Er nahm einen Schluck Brandy. »Auf jeden Fall bin ich jetzt da und bereit, meine sogenannte Frau dem Marquis zu übergeben.«
Stephen schnaubte verächtlich.
»Meinst du, dass sie schon wieder mit ihm tanzt?«, fragte Cam. Aus irgendeinem Grund war ihm plötzlich nicht mehr danach, in dem gemütlichen Männerrefugium des Kartenzimmers zu sitzen.
»Was kümmert’s dich? Sobald du die Ehe annullieren lässt, wird er sie wahrscheinlich sitzen lassen. Und sie wird irgendwo im Norden in einer armseligen Kate leben müssen.«
Cam stand so plötzlich auf, dass er gegen den Tisch stieß. Sein Glas fiel um, und der Brandy ergoss sich auf die blank polierte Platte. »Solltest du irgendwann lange genug mit deinen Moralpredigten aufhören, um Atem zu schöpfen, dann lass es mich wissen, Cousin. Für den Augenblick habe ich genug Langeweile ertragen.«
Mit hocherhobenem Kopf verließ er das
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