Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
zur Hölle!», brüllte eine Stimme von draußen.
«Ich weiß schon, wer das ist», sagte Madame Ulla Leander zu dem Mann, der als Pförtner bei ihr arbeitete und auch sonst ihre rechte Hand war. «Du kannst ihn reinlassen.»
Der Mann tat, was sie befohlen hatte. Die Tür flog auf, und Graf Rosenschöld stapfte ins Bordell.
«Graf, das ist ja ein später Besuch», sagte sie. «Womit kann ich dienen?»
Rosenschöld schwankte, und Ulla runzelte die Stirn. «Ich will heute Nacht ein eigenes Zimmer», fauchte er. «Schick mir ein paar Mädchen.» Er schob sich an ihr vorbei. «Ist Edvard hier?»
Ulla sah ihn abwartend an. Irgendetwas an seiner schleppenden Sprechweise und der angestrengten Atmung alarmierte sie. «Selbstverständlich.» Sie nickte dem Pförtner zu. «Gib ihm das blaue Zimmer. Und sag Lena, sie soll hochgehen.» Dann wandte sie sich wieder an den Grafen. «Edvard ist oben. Aber ich will keinen Streit haben. Soll ich ihm Bescheid geben?»
«Ich gehe selbst hoch. Sorg du nur dafür, dass die Huren da sind.»
Ulla beschloss, ein paar erfahrene Mädchen auszusuchen. Und sie würde dafür sorgen, dass jemand die Sache im Auge behielt. Als er Graf letztes Mal in dieser Laune hier aufgekreuzt war, war er mehrere Tage in ihrem Bordell geblieben. Sie würde die Mädchen in regelmäßigen Abständen austauschen müssen, damit sie nicht auf Wochen arbeitsuntauglich wären. Resigniert schüttelte sie den Kopf. Der Graf und sein sadistischer junger Freund gehörten nicht zu ihren Lieblingskunden. Auch nicht zu denen ihrer Mädchen.
«Und sorg dafür, dass ein paar Erfrischungen hochgeschickt werden», rief der Graf im Gehen noch über die Schulter.
In Ullas Augen hatte der Graf für diesen Abend wohl bereits genug Erfrischungen genossen, doch man wurde bestimmt nicht die erfolgreichste Puffmutter Stockholms, indem man die Wünsche seiner Kunden hinterfragte. Und das Leben hatte sie gelehrt, nicht wählerisch zu sein. «Ich bitte Lena, dass sie ein paar Getränke mit hochnimmt», versprach sie.
«Jetzt werde ich mich erst einmal ein bisschen mit Edvard unterhalten», verkündete der Graf und wandte sich zur Treppe.
«Graf?», sagte Ulla mit vielsagender Stimme.
«Verdammt, was ist denn noch?»
Ulla hob nur wortlos die Augenbrauen. Fluchend zückte der Graf ein Bündel Geldscheine und warf es ihr zu. Sie fing es mit einer Hand auf, musterte das Bündel und sah dann wieder ihn an. «Lena kommt sofort. Ich sage ihr, dass sie noch ein paar Mädchen mitbringen soll.»
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32
Gut Rosenholm
Februar 1882
«Beatrice, mein liebes Kind», rief Karin Hielm. «Wie geht es dir?» Sie eilte in Beatrices Schlafzimmer, zog sich einen Stuhl ans Bett und versuchte, ihr Entsetzen zu verbergen.
Beatrices Mund war wund, die Lippen gesprungen und ausgetrocknet. Ihr Gesicht war völlig zerschlagen, schwarze Blutergüsse und Schwellungen verzerrten ihre Züge. Sie hatte schreckliche Male am Hals und konnte nur mit gequälten Atemzügen Luft holen. Ihre Arme lagen auf der Decke. Sie waren übersät mit blauen Flecken, und an den Handgelenken sah man feuerrote Wundmale. Die körperlichen Verletzungen waren schon schrecklich, doch am schlimmsten waren Beatrices Augen. Der sonst so lebendige, intelligente Blick war nur noch leer.
Vor nicht einmal drei Tagen hatten sie sich noch auf der Hochzeit gesehen, dachte Karin verzweifelt, doch heute war Beatrice bis zur Unkenntlichkeit verändert. Der Körper würde sicher heilen – aber der Rest … Sie kämpfte mit ihren Schuldgefühlen. Im Sommer hatte sich Beatrice hilfesuchend an Hjalmar und sie gewandt, doch sie hatten sie im Stich gelassen. Sie, die sich als ihre Freunde bezeichneten, hatten sie allein gelassen, als sie sie am meisten brauchte. Und jetzt musste Beatrice den Preis dafür bezahlen. Karin hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. Warum hatte man sie nicht früher geholt?
Behutsam strich sie Beatrice eine kurze Strähne aus der Stirn. Das hier war wirklich viel, viel schlimmer, als sie gedacht hatte. Schlimmer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Und ihr Mann und sie hätten es verhindern können.
«Wie bist du hergekommen?», fragte Beatrice tonlos.
Karin schob Selbstmitleid und Schuldgefühle beiseite. «Dein Stalljunge Samuel ist gekommen und hat mich abgeholt», sagte sie. «Ich glaube, deine Dienstboten machen sich Sorgen um dich. Kerstin hat mir erzählt, dass du weder richtig isst noch
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