Ein unmoralisches Sonderangebot - Gier, K: Unmoralisches Sonderangebot
dem Hotelbett miteinander lachten und Fünfzigerjahrestellungen ausprobierten. »Warum wollt ihr denn eigentlich unbedingt Kinder?«
»Warum wollt ihr keine?«, fragte Oliver zurück.
Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist eine so große Verantwortung. Selbst wenn man sich richtig Mühe gibt, macht man immer noch alles falsch.«
»Ja, aber so ist das Leben«, sagte Oliver.
»Ich möchte aber nicht für ein weiteres verkorkstes Leben verantwortlich sein«, sagte ich heftig. In Wirklichkeit hatte ich einfach Angst vor dem Kinderkriegen. Nicht vor den Wehen und Pressen und so weiter (obwohl Elisabeth und Hanna mir die fürchterlichsten Geschichten über die Geburt von Kaspar und Marisibill erzählt hatten), sondern vor dem, was danach kam. Genauer gesagt, vor den Gefühlen, die man als Mutter für so ein kleines, hilfloses Baby entwickelt. Wenn man ein Kind hatte, dann litt man nicht nur seinen eigenen Kummer, sondern den des Kindes gleich mit. Wenn es ein Schäufelchen über den Kopf bekam, wenn ein anderes Kind es wegen seiner komischen Haare aufzog, wenn sein bester Freund lieber mit einem anderen spielte, wenn die Kindergärtnerin es nicht leiden konnte – alles das musste man als Mutter mitfühlen und -leiden. Und das war eine geradezu unmenschliche Vorstellung. Ich meine, das eigene Leben war doch schon schwierig genug. »Da zahle ich doch lieber meine Rente selber und bringe mich eigenhändig in einem Altenheim unter, wenn es mal so weit ist.«
»Aber es ist so wichtig, eine Familie zu haben«, sagte Oliver. »Weißt du, seit ich denken kann, habe ich diese Bilder im Kopf: Kinder, die einem an der Tür entgegenlaufen, wenn man von der Arbeit kommt. Die einem selbst gebastelte Serviettenhalter zum Vatertag schenken. Die auf meinen Schultern sitzen, wenn wir spazieren gehen. Die mit mir Drachen steigen lassen. Und eine Frau, die Marmelade einkocht und einen anlacht, wenn man nach Hause kommt.«
»Das ist aus der Werbung«, sagte ich trocken. »Auf dieseSteine können Sie bauen. Kaum zu glauben, dass Evelyn auch derartig kitschige Bilder in ihrem Kopf hat.«
»Hat sie ja nicht«, sagte Oliver. »Sie will ein Kind, weil ihre biologische Uhr tickt.«
»Haha«, sagte ich. »Die tickt aber nur bei Menschen, die solche Bilder in sich tragen. Bei mir tickt nämlich gar nichts. Und wenn ich Bilder in meinem Kopf sehe, dann die vielen vollen Windeln und die Kinderkrankheiten und die Nächte, die man sich um die Ohren schlägt, und den Ärger, den man hat, wenn das Kind schlechte Zensuren nach Hause bringt oder den Nachbarshund mit Steinen bewirft.«
Oliver schüttelte den Kopf. »Möglicherweise ist das mit der glücklichen Familie ja ein Klischee, aber ich glaube, was das angeht, hat mein Vater ausnahmsweise Recht. Wir alle brauchen Menschen, die zu uns gehören. An die wir weitergeben, was wir gelernt haben. Zu denen wir stehen und die zu uns stehen, in guten wie in schlechten Zeiten, so kitschig das auch klingen mag.«
Wieder zuckte ich mit den Schultern. »Das kannst du doch gar nicht wissen. Es gibt keine Garantie dafür, dass du für deine Kinder da sein kannst. Meine Eltern, zum Beispiel, sind gestorben, als ich sieben war, und ich bin bei fremden Leuten groß geworden, mit einem ganzen Haufen ständig wechselnder Pflegegeschwister.«
»Das wusste ich ja gar nicht«, sagte Oliver. »Ich dachte, das wären deine richtigen Eltern gewesen, damals auf eurer Hochzeit.«
»Meine Pflegeeltern«, sagte ich. »Sie sind in Ordnung, aber es sind eben nicht meine richtigen Eltern. Ich seh sie nicht oft. Sie wohnen immerhin vierhundert Kilometerweit weg. Wir schreiben uns an Weihnachten und zum Geburtstag, das ist alles. Ich bin ja auch nur eins von vielen Pflegekindern.«
»Du Arme.« Oliver machte eine Bewegung, als wolle er mich streicheln.
»Ach, jetzt erzähl mir aber nicht, dass du ohne die sonntäglichen Frühstücke bei deinem Vater nicht leben könntest«, sagte ich ärgerlich.
»Doch«, sagte Oliver und grinste. »Vielleicht würde mir jeder zweite Sonntag reichen, aber ich würde sie alle vermissen, ehrlich.« Nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: »Von Eberhard vielleicht mal abgesehen.«
»Bei mir hat sich dieses Familien-Gen wohl nicht gebildet«, sagte ich. »Obwohl meine Pflegefamilie wirklich okay war. Keine Spur von
Les Miserables
oder
David Copperfield
.«
»Copperfield – der ist auch ein Waisenkind?«
»Nicht der Zauberer, die Romangestalt von Dickens«, sagte ich.
»Wir waren – und
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