Ein unsittliches Angebot (German Edition)
mit einer Mühle aus grauen Ziegeln.
Das Wasser, das über das Mühlrad floss, hatte offenbar genug Kraft, einen Mühlstein zu drehen. Das hatte etwas mit einem Getriebe zu tun, hatte Granville gesagt. Große und kleine Zahnräder sorgten auf mysteriöse Weise dafür, dass der Stein sich schneller drehte als das Mühlrad. Und seitwärts. Das Mühlrad drehte sich vertikal, die Mühlsteine jedoch, der feste und der, der sich drehte, lagen horizontal. Granville hatte eine Skizze angefertigt und Theo hatte weise genickt und sich dabei einem Tagtraum von der Witwe hingegeben.
An der Mühle angekommen, luden sie die Getreidesäcke ab – mochte Quigley ihn ruhig skeptisch beäugen; in Sachen Muskelkraft konnte er es mit jedem Arbeiter aufnehmen – und sahen zu, wie eine radbetriebene Winde sie einen nach dem anderen auf die Mahlbühne zog, wo ein Müllergeselle schon an der Schütte bereitstand. Jetzt gab es nichts mehr zu tun als zu warten, bis sie den Weizen in Form von Mehlsäcken zurückbekämen.
Er sah sich um und griff nach seinem Hut, den er zum Entladen abgesetzt hatte. »Ich mache einen Spaziergang durch die Stadt, wenn Sie mich entbehren können«, sagte er zu Granville. »Ich gehe ja um diese Tageszeit viel spazieren, aber in einer Stadt war ich hier noch nie.« Vielleicht eine überflüssige Lüge. Soweit er wusste, hatte Granville das Muster seiner nachmittäglichen Abwesenheit noch gar nicht bemerkt. So oder so konnte er ihn gut entbehren, und auch Quigley hatte keine Einwände, also machte er sich auf und schritt auf die ersten Häuser zu.
Es war eine hübsche Stadt, ein Sammelsurium aus gemauerten, getünchten und halb gezimmerten Häusern, die sich alle fröhlich aneinanderschmiegten und die moderne Zeit völlig ignorierten. Die gewundene Hauptstraße rumpelten unzählige Wagen entlang: Es war Markttag. Ein strohblondes Kind lehnte sich aus einem Fenster im ersten Stock und nahm das Getümmel auf der Straße mit großen Augen auf. Theo lüftete im Vorbeigehen seinen Hut, als das Kind ihn erblickte, und wurde mit einem freudigen Winken belohnt, wie ein geliebter Onkel, der mit Taschen voller Geschenke von einer Seereise heimkehrt.
Geschenke. Er befühlte die Münzen in seiner Tasche. Vielleicht konnte er hier ein oder zwei Dinge besorgen. Vernünftigen Käse für Mr Barrow, zum Beispiel. Vielleicht etwas für Mrs Russell. Er ging zum Ende der Straße, um sich auf dem Rückweg genauer anzusehen, was so alles angeboten wurde.
Mehr als ein hübsches Mädchen blickte auf, als er vorüberging. Das Angebot war nicht schlecht. Sogar in den schlichteren Kleidern, die er für die heutigen Arbeiten angelegt hatte, fiel er in dieser Stadt offenbar positiv auf. Er zog seinen Mantel zurecht und lächelte das nächste Mädchen an, an dem er vorbeikam.
Das konnte leicht zu etwas führen. Hatte oft genug zu etwas geführt. Ein Blick, eine halbe Sekunde länger ausgehalten, als es sich gehörte; ein Lächeln, in das sie alles hineinlesen konnte, was sie wollte, oder auch gar nichts.
Verflucht sei seine seichte Seele! War er nicht besser als das? Hatte er nicht in letzter Zeit gemeint, bei sich beinahe so etwas wie eine … eine gewisse Zuneigung zu Mrs Russell entdeckt zu haben? Ein gewisses Etwas, das solch spekulatives Interesse an anderen Frauen ausschloss? Diese ganzkörperliche Würdigung der kastanienbraunen Locken, die der einen unter der Haube hervorquollen? Oder der Lippen der anderen, in den Mundwinkeln schelmisch, dazwischen üppig?
Nun, sein Körper war eben auch auf sein Wohlergehen bedacht, nicht wahr? Sein Körper hatte nichts von zärtlichen Empfindungen für Mrs Russell. Wenn er so töricht sein sollte, sich zu verlieben – und der Himmel wusste, er war töricht genug für so manches –, würde das eine einsame Reise werden. Wie aus den Tiefen eines Brunnens, in den nur er unvorsichtigerweise gefallen war, würde er blinzelnd zu ihr aufblicken, während sie ihn missbilligend von oben herab ansah, da sie verlässliche Männer bevorzugte und man ihm ja offenbar nicht einmal zutrauen konnte, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Dennoch würde er ihr treu bleiben. Er hatte der Witwe für einen Monat das exklusive Recht an sich zugesichert, und das Wort eines Mannes musste schließlich etwas gelten. Entschlossen wandte er sich einem Marktstand zu, an dem es nur eine einzige, wenig verführerische Frau gab, eine stämmige Matrone in lavendelgrauer Halbtrauertracht. Vermutlich ebenfalls eine Witwe.
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