Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
über seine Anwesenheit. Es tat gut, eine Schulter zu haben, an die man sich nach dieser lieblosen Behandlung durch die eigene Familie anlehnen konnte.
»Lucien ist in London.« Er lenkte das Pferd zur Dorfstraße. »Vivian übrigens auch, obwohl sie sich dort nie besonders wohlfühlt. Vermutlich gibt es jedoch vor der Hochzeit einiges zu erledigen. Was hältst du davon, wenn wir ebenfalls in die Stadt fahren? Ich würde dir so gerne alles Sehenswerte zeigen … Und zu einer Schneiderin müssten wir auch, denn du brauchst eine andere Garderobe. Wir könnten noch heute Nachmittag abreisen.«
Bei dem Gedanken daran spürte sie einen plötzlichen Druck im Magen. Sie hätte nicht sagen können, ob vor Aufregung oder aus Furcht. Wahrscheinlich spielte beides eine Rolle, denn die Welt, in die sie hineingeheiratet hatte, war ihr sehr fremd. Als Tochter eines Vikars fuhr man nicht so einfach nach London, und man ließ sich dort schon gar keine Kleider schneidern. Aber dieses einfache Leben gehörte endgültig der Vergangenheit an. Also passte sie sich lieber so schnell wie möglich an.
»Wie du wünschst«, sagte sie.
»So spricht eine pflichtbewusste Frau.« Charles’ Stimme klang amüsiert. »Eigentlich wollte ich dir mit meinem Vorschlag eine Freude machen. Ich denke, du wirst dich mit Vivian gut verstehen, und sie wird froh sein, weibliche Gesellschaft zu haben.«
Louisa seufzte beklommen, doch Charles meinte es gut, und allein ihm zuliebe durften sie sich nicht ewig auf dem Land verkriechen. Sie musste den Schritt in diese fremde Welt tun, und vielleicht war es ja ganz hilfreich, Vivian Lacrosse an der Seite zu haben. Nach allem, was sie von ihr wusste, würde sie ihre Situation verstehen und ihr beim Übergang in dieses neue Leben helfen. Eigentlich eine Ironie des Schicksals, ausgerechnet auf die Frau zu hoffen, deren Verlobung ihretwegen in die Brüche gegangen war.
»Du meinst, das würde ihr nichts ausmachen?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Hast du vergessen, dass sie mich ermuntert hat, mit dir durchzubrennen?« Charles lachte. »Außerdem steht sie selbst vor ihrer Hochzeit. Ich wüsste wirklich zu gerne, warum Lucien sie so Knall auf Fall um ihre Hand gebeten hat. Schätzungsweise hatte er bereits lange eine Schwäche für sie. Egal. Jedenfalls musst du dir wegen Vivian keine Gedanken machen.«
»Wegen eurer Freundschaft?«
»Ja, was gibt es Wichtigeres auf der Welt als gute Freunde, auf die man zählen kann? Und natürlich die Familie, die einen liebt.«
Typisch Charles, dachte sie. Das war seine Sicht auf die Welt. Alles war gut, solange man Menschen hatte, die zu einem standen. Und zudem verfügte er über das unerschütterliche Grundvertrauen, dass er niemals wirklich enttäuscht würde. Nicht von denen, die ihm wichtig waren, und deshalb begegnete er der Welt ebenfalls freundlich und ohne Groll. Selbst über Kränkungen dachte er nicht lange nach. Wie im Fall ihrer Familie. So etwas nahm er nicht persönlich, sondern hakte es einfach ab. Es war ihm letztlich gleichgültig, weil die Leute ihm nicht wichtig waren. Es tat ihm bloß ihretwegen leid.
Louisa drehte sich um und fuhr mit dem Finger über sein Kinn. Im hellen Sonnenlicht wirkten seine Augen sehr blau. »Ich glaube, ich darf mich wirklich glücklich schätzen, dich zu haben.«
Er lächelte sie vielsagend an, packte ihre Hand und küsste die Handfläche. »Dieses Gefühl beruht sehr auf Gegenseitigkeit.«
»Brauche ich wirklich neue Kleidung?«
»Ja.« Jetzt grinste er sie frech an, wie ein Lausbub fast. »Du willst doch nicht dem Ansehen meines Vaters schaden.«
»Gott bewahre.«
»Na, siehst du. Du wirst bestimmt wunderschön aussehen in einem hellblauen Seidenkleid und mit passenden Schleifen im Haar … Obwohl ich zugeben muss, dass du mir ohne alles am besten gefällst.«
»Charles!«
»Stimmt doch.« Er schlang den Arm fester um ihre Taille. »Also, was sagst du, mein Liebling? Wollen wir nach London reisen?«
»Du willst deinem Vater bloß aus dem Weg gehen, bis sich die Wogen geglättet haben.« So wie sie es sagte, war es keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Zugegeben, er geht mir momentan aus dem Weg, aber das wird nicht ewig dauern. Nein, mein Schatz, ich möchte wirklich nach London. Allein schon wegen Lucien. Er wird sicher mit mir reden wollen, und zudem setze ich auf seinen Einfluss bei unserem Vater.«
Im Stillen wunderte sie sich, weil sie den Marquess immer für ziemlich reserviert und eher streng gehalten
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