Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Tat keine Lust, zu spät ins Theater zu kommen. Allerdings ist es nicht schicklich, dich ohne eine Anstandsdame abends mit ihm allein zu lassen. Ich fand das mit der Spazierfahrt neulich bereits nicht richtig.«
Mit Recht, Mutter, dachte Vivian amüsiert. Nachmittage konnten tatsächlich höchst gefährlich sein. Und zugleich so herrlich sündhaft und erotisch. Sie bedauerte nichts, rein gar nichts. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen und fragte sich, ob es wohl merkwürdig wäre. Immerhin hatte dieser Mann sie nackt gesehen, ihre Brüste geküsst und sie an anderen verbotenen Stellen berührt.
»Ich werde in einer Woche ziemlich oft mit ihm allein sein«, erklärte sie ruhig. »Ich bin sicher, er hat gute Gründe für seine Verspätung und wird es nicht gutheißen, wenn ihr seinetwegen nicht pünktlich sein könnt.«
Sie kannte ihre Mutter, die gerne vor Beginn der Vorstellung ausgiebig herumschaute, wer welche Juwelen trug, wessen Kleid zu tief ausgeschnitten war und welche Gentlemen gewisse Ladys begleiteten. Insofern verfehlte ihr Argument seine Wirkung nicht. Als dann noch Sir Edwin für einen Aufbruch plädierte, war die Sache entschieden.
»Da hat sie recht, meine Liebe. Wenn ich schon diesem vermaledeiten Ereignis beiwohnen muss, lass uns losfahren, damit ich wenigstens nicht den Anfang des ersten Aktes verpasse. Sonst weiß ich überhaupt nicht, worum es geht. Zwischen Stockton und ihr ist doch alles beschlossene Sache.«
Vivian seufzte erleichtert auf, als sich die Tür hinter den Eltern schloss. Dann instruierte sie den Butler, Lord Stockton sofort zu ihr zu führen, und begab sich in die Bibliothek. Erst kürzlich hatte sie einen Artikel über die neusten Befruchtungstechniken gelesen, den sie für Lucien heraussuchen wollte, weil er auch für die landwirtschaftliche Anwendung von Interesse war.
Nach einer Stunde begann sie sich ernsthaft Sorgen zu machen. Wenn es einen Grund gab, die gemeinsamen Pläne für den Abend abzusagen, hätte er bestimmt eine Nachricht samt Entschuldigung geschickt. Oder dachte er vielleicht, sie sei mit den Eltern zum Theater gefahren, und kam direkt dorthin?
Quälend langsam verstrich die Zeit. Sie legte ihr Buch beiseite und wanderte ziellos durch den Raum, setzte sich wieder und nahm erneut ein Buch zur Hand. Diesmal einen Roman, von dem sie sich Zerstreuung erhoffte.
Gegen Mitternacht gab sie auf und ging nach oben, kämpfte mit den winzigen Verschlüssen ihres neuen Kleides, damit sie die Zofe nicht wecken musste, und zog Nachthemd und Morgenmantel an. Hoffentlich hatte im Haus niemand bemerkt, dass ihr Verlobter sie versetzt hatte. Egal, dachte sie resigniert, spätestens morgen würden es ohnehin alle wissen.
Irgendwann schlief sie ein und träumte vom Mondlicht, das aufWasser glitzerte, und vom Rauschen der Wellen.
Sein Kopf schmerzte fürchterlich, der Mund war völlig ausgetrocknet. Als er sich umzudrehen versuchte, protestierte sein ganzer Körper. Lucien öffnete die Augen. Zumindest dachte er das, aber um ihn herum herrschte weiterhin tiefste Dunkelheit.
Was zum Teufel sollte das hier?
Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass seine Hände gefesselt waren. Eine leichte Schaukelbewegung ließ ihn vermuten, dass er sich auf einem Schiff befand. Wut stieg in ihm hoch, die für den Moment Schmerzen und Unsicherheit vergessen machte. Vergebens zerrte er an seinen Fesseln, bevor er gottergeben in der Dunkelheit zurücksank und sich zu rekonstruieren bemühte, was zur Hölle mit ihm geschehen war.
Nichts Ungewöhnliches, soweit er sich erinnern konnte. Zum Lunch war er im Club gewesen und hatte sich nachmittags für ein paar Stunden mit zwei Geschäftspartnern getroffen und dann kurz bei seinem alten Studienfreund Northfield reingeschaut, weil er Vivian bei dessen Frau vermutete, doch sie war nicht dort gewesen. Es war noch hell, als er auf die Straße hinaustrat.
Die nächste Erinnerung war … Schwärze. Ungefähr so wie die Finsternis, die ihn jetzt umgab. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er an diesen Ort gekommen war. Es stank leicht nach fauligem Fisch.
Wie konnte das alles sein?
Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, wenngleich er in Wahrheit den Schuldigen am liebsten eigenhändig umgebracht hätte und seine mörderische Wut ins Leere lief.
Er war angegriffen worden, so viel schien klar, ohne dass er sich an Einzelheiten erinnerte. Der pochende Schmerz in seinem Schädel deutete indes zweifelsfrei auf einen kräftigen Schlag hin. Und
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