Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Charles, und obwohl er sie irgendwie trösten wollte, hatte er absolut keine Ahnung, wie das überhaupt möglich sein sollte.
»Guten Abend.«
Er drehte sich um, als sein Vater den Salon betrat. Beherrscht und reserviert wie immer seit der Flucht nach Schottland. Höflich neigte er den Kopf in Louisas Richtung.
»Bitte, du musst nicht aufstehen«, fügte er hinzu, als sie hastig ihr Glas beiseitestellen wollte. »Ich bin die Förmlichkeiten leid. Bleib sitzen, Kind. Würdest du so gut sein, mir ein Glas Claret einzuschenken, Charles?«
Er wirkte sehr erschöpft, fand sein Sohn und goss schweigend den roten Wein in einen Kristallpokal, durchquerte den Raum und stellte ihn auf ein Tischchen.
»Danke. Irgendwas gehört?«
Eine überflüssige Frage, denn hätte er etwas gehört, wäre er sofort zu seinem Vater geeilt, wie beide wussten.
»Nichts.«
»Eine unbefriedigende Antwort«, sagte der Duke, und Charles sah, wie seine Hände zitterten, als er das Glas an die Lippen hob.
Sobald er den ersten Schluck Wein getrunken hatte, begann er zu husten und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Charles wurde eiskalt, als er den roten Flecken entdeckte. War das wirklich vom Wein? In letzter Zeit hatte sein Vater stets ein Taschentuch zur Hand …
»Luciens Sekretär meint übrigens, dass der Termin mit seinem Anwalt, zu dem er nicht mehr erschien, ein deutlicher Hinweis auf den Zeitpunkt seines Verschwindens sei. Er erwähnte überdies, dass es sich um eine sehr wichtige Angelegenheit gehandelt habe, die Lucien unter keinen Umständen versäumen wollte.«
»Der heutige Termin war noch wichtiger«, erwiderte sein Vater bedrückt. »Seine Hochzeit hätte er sicherlich um nichts in der Welt verpasst. Allerdings nimmt nicht jeder Mann seine Verantwortung so ernst.«
Hörte er da eine leise Kritik? Oder eine Mahnung? Jedenfalls bezog Charles die Äußerung prompt auf sich.
»Die Umstände können es erforderlich machen«, gab er zurück.
»Die Verantwortung, die ein Leben in der Öffentlichkeit mit sich bringt, verbietet es, privaten Wünschen einfach nachzugeben.«
»Ich bin überzeugt, Lucien ist sich dessen bewusst.«
»Ich wollte vor allem, dass du dir dieser Tatsache bewusst bist.«
Louisa hielt die Augen angelegentlich auf ein Gemälde von Gainsborough gerichtet, das über einem kleinen Tisch an der Wand hing. Ihr Gesicht wirkte ausdruckslos wie das einer Statue und genauso blass. Ihr Anblick bewog Charles zum Einlenken.
»Das bin ich«, sagte er.
»Falls Lucien nicht zurückkehrt, wirst du mein Nachfolger sein.«
Charles fiel es wie Schuppen von den Augen. Der Duke bereitete ihn auf den Fall seines Todes vor. Und auf ein Leben ohne Lucien. Offenbar wusste sein Vater genau, wie es um ihn stand, wenngleich er es nicht laut aussprach.
»Lucien kommt bestimmt zurück, Vater«, sagte er fest.
»Und wenn nicht …«
»Nein, denk nicht an so etwas …«
»Du warst nie für die Rolle des Erben vorgesehen und wurdest nicht darauf vorbereitet.«
Das wusste er und war immer froh darüber. Und doch schmerzte ihn diese Bemerkung. »Ich wollte dich auch nie beerben.«
»Trotzdem hätte ich diese Möglichkeit nie völlig außer Acht lassen dürfen.«
Ständig ging es nur um den verfluchten Titel. Lucien wurde vermisst, und nichts anderes sollte im Moment von Interesse sein. Natürlich war Charles sich darüber im Klaren, was im Ernstfall auf ihn zukommen könnte, aber …
»Wenn es sein muss, schaffe ich das«, sagte er sanft und beobachtete verstohlen, wie der nächste Hustenanfall den Körper seines Vaters erschütterte. Wieder zückte er das Taschentuch. »Vertrau mir. Schließlich habe ich meine eigenen finanziellen Angelegenheiten bislang ganz gut geregelt bekommen. Ich bin noch jung, ich weiß, doch ich halte mich nicht für dumm.«
»Hm.« Sein Vater schaute ihn nachdenklich an. »Ich meinte damit nicht …«
Charles unterbrach ihn, was er sonst nur selten tat. »Vielleicht sollten wir das Gespräch lieber morgen in deinem Arbeitszimmer fortsetzen.«
»Ich könnte gehen«, schlug Louisa vor. »Es ist eine Familienangelegenheit …«
»Nein.« Der Duke schüttelte entschieden den Kopf. »Du gehörst jetzt zur Familie. Und ich finde, Charles hat recht: Wir werden das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt vertagen.«
Als die drei sich erhoben und in den großen Speisesaal wechselten, empfanden alle die Leere und Stille als bedrückend. Daran vermochten auch die Kandelaber, die herrlichen
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