Ein Vampir ist nicht genug - Roman
mich Vayl mit ruhiger Stimme und einem scharfen Blick. Also fuhren wir. Jeden Abend. Überallhin. Im Gegensatz zu meinen bisherigen Trainingserfahrungen verfolgten wir nicht andere Agenten. Wir verfolgten den Bürgermeister. Wir fuhren absichtlich über rote Ampeln und ignorierten Stoppschilder und hängten dann die Polizei ab, wenn sie uns verfolgte. Vayl fand ein paar ortsansässige Vampire, die ein wenig zurechtgestutzt werden mussten, und wir übten das gute alte Schleudermanöver an ihnen und ihren Fahrern. Ich war gut gewesen. Ich wurde besser. Und die Intensität, mit der Vayl jeden Aspekt seines Jobs anging, begann auf mich abzufärben.
Diese Intensität schärfte jetzt meine Konzentration, als
ich auf die Straße zurückfuhr. In einer wenig befahrenen Gegend wie Assans Nachbarschaft ist es einfach, jemanden zu verfolgen. Auf der Schnellstraße wird es schon schwieriger, aber Assans Wagen, ein maßgefertigter Dodge Ram in der Farbe von Erdbeereis, war schwer zu über sehen. Zu blöd, dass diese Hammernachricht von dem Virus unseren ursprünglichen Auftrag über den Haufen geworfen hatte. Sonst hätte ich seinen Wagen auf der Schnellstraße plattmachen können, und niemand hätte je erfahren, dass es kein Unfall war.
Fünfundzwanzig Minuten später waren wir dem Erdbeer eisauto bis zu einem verlassenen Luftwaffenstützpunkt gefolgt. Wir ließen so früh wie möglich das Auto stehen und suchten uns einen Weg zu ein paar einsamen Gebäuden, die auf dem leeren Gelände standen. Ungefähr neunzig Meter bevor wir Assans Wagen erreichten, gingen wir in dem Dschungel aus Unterholz und hohen Gräsern, die einen der alten Hubschrauberlandeplätze des Stützpunkts umwucherten, in Deckung und beobachteten, wie die beiden Männer das Fahrzeug verließen. Der Vamp lehnte sich an die Motorhaube, während Assan zu einem Strommast ging, wo er in einer großen grauen Kiste herumwühlte. Sekunden später erstrahlte ein Ring aus roten Lichtern, und weniger als fünf Minuten darauf hörte ich über uns das rhythmische Wummern von Hubschrauberrotoren.
Der Helikopter landete, und ein Pärchen - einer groß, einer klein - in schwarzen Overalls ging von Bord. Tief gebückt eilten sie auf Assans Wagen zu. Wenige Momente später flog der Hubschrauber wieder los, und unsere vier Subjekte machten sich ebenfalls davon. Ich saß im Unkraut und beobachtete, wie sie verschwanden, wobei ich versuchte, einige logische Schlussfolgerungen zu ziehen.
Okay, wir haben also zwei neue Vampire namens Svetlana und Boris, die hier ankommen, und zwar in der Nacht, bevor ein Virus, das mutiert und epidemieartige Todeszahlen verursachen kann, seinen letzten Test durchläuft. Hey, vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm. Vielleicht sind die Russen ja Computerfreaks und das Virus ist nur ein großer, böser Wurm. Hoffe ich. Wirklich.
Wir gaben Assan, seinem Kumpel und den Russen genug Vorsprung, damit sie uns nicht sehen würden, wenn wir hinter ihnen auf die Straße fuhren, und hofften, dass ihr nächster Halt uns ein paar Antworten bringen würde. Und zwar solche, die nicht die Formulierung »das Ende der Welt, wie wir sie kennen« beinhalteten.
4
I n einer meiner schlimmsten Kindheitserinnerungen sitze ich am Küchentisch in dem winzigen Haus, das wir auf dem Stützpunkt in Quantico bewohnt hatten. Ich weinte so heftig, dass mein Lieblings-Mariah-Carey-T-Shirt nasse Flecken hatte, und aus meiner Nase liefen Rotzfäden, was Dave »echt krass« fand. Ich weiß noch, dass mich das nur noch weiter aus der Fassung brachte, weil ich dachte, er sollte ebenfalls weinen. Mom saß uns gegenüber am Tisch, rauchte eine Zigarette und tätschelte der heulenden Evie den Rücken. Evie musste immer weinen, wenn ich weinte. Das war einer der Gründe, warum ich schließlich damit aufhörte.
Mom warf mir einen Blick zu, der, wie ich fand, ohne jedes Mitgefühl war, und sagte: »Ich weiß, dass du erwartet hattest, dass euer Vater heute nach Hause kommt. Ich weiß, dass du ein Stück von deinem Geburtstagskuchen mit ihm essen wolltest. Aber denk immer daran, Jaz, im Leben läuft nie etwas nach Plan. Gar nichts. Niemals.«
Ich glaubte ihr. Was ich ihr nicht sagen konnte, war, dass ich ebenfalls glaubte, dass Dad deshalb nicht nach Hause gekommen war, weil er bei der Operation Desert Storm getötet worden war. Das hatte mir meine Nachbarin erzählt. Tammy Shobeson, die zwölfjährige Tochter eines Staff Sergeant, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Trainings
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