Ein verboterner Kuss
Er beobachtete, wie sie dem Jungen Anweisungen erteilte. Wahrscheinlich musste er sich daran gewöhnen, Tee zu trinken. Der gehörte offenbar zu den Dingen, die Vikare gezwungenermaßen tranken.
„Wollen Sie nicht bitte Platz nehmen?“, lud sie ihn ein. „Es tut mir leid, ich habe Ihren Namen nicht richtig mitbekommen.“
Er verneigte sich sofort. „Humphrey Netterton, zu Ihren Diensten. Ich bin ein alter Freund von Dominic - von Lord D’Acre, sollte ich wohl lieber sagen.“
„Und ich bin Miss Pettifer.“ Sie sagte das so, als sollte er eigentlich wissen, wer sie war. Sie streckte die Hand aus, und Frey ergriff sie. Wie alles an dieser jungen Frau war auch ihre Hand klein und sehr weich. Ihre Augen waren vom gleichen Braun wie ihr Haar, und ihr Teint wirkte makellos.
Eine Weile blieben sie einfach stehen und sahen sich an, bis Frey etwas einfiel, was er sagen konnte, um das Schweigen zu beenden. „Abgesehen davon bin ich auch der neue Vikar von St. Stephen’s.“
„Ach Ihre Miene verzog sich. „Ich b...bin s...sehr erfreut, Ihre B...Bekanntschaft zu machen“, brachte sie gerade noch hervor, ehe sie in Tränen ausbrach.
Frey wurde klar, dass es unter solchen Umständen nur eins gab, was ein Mann zu tun hatte. Er zog sie an seine Brust, legte die Arme um sie und ließ sie sich an seinem kunstvoll gebundenen Halstuch ausweinen.
Sie schluchzte und zitterte am ganzen Leib. Er tätschelte ihren Rücken und sprach tröstend auf sie ein. Ihre Locken kitzelten seine Nase. Tief atmete er ihren Duft ein. Sie roch nach ... Stirnrunzelnd versuchte er, diesen Duft einzuordnen. Nach irgendetwas Süßem, Unkompliziertem ... wie Seife und ... Stiefmütterchen? Dufteten Stiefmütterchen überhaupt? Er wusste es nicht wirklich, aber genau daran erinnerte sie ihn - an ein Stiefmütterchen.
„Ich bitte um Verzeihung“, stammelte sie nach einer Weile. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“
„Aber, aber“, beschwichtigte er. „Sie sagten doch, hier wäre alles drunter und drüber gegangen.“
Sie sah ihn mit tränenfeuchten Augen an. „Mein Vater ist sehr krank, der Arzt ist bei ihm. “
Er drückte sie an sich. „Ganz ruhig, ich bin mir sicher, alles wird wieder gut.“
„Ich glaube, er wird ... er wird ...“ Sie konnte es nicht aussprechen, und ihre weiche Unterlippe bebte.
Ohne groß darüber nachzudenken, hob er ihr Kinn an und küsste sie sanft. Sie schmeckte süß und nach frischer Minze. „Alles wird gut.“
Sie blinzelte und schenkte ihm ein Lächeln unter Tränen. „Sie sind sehr freundlich, aber ich ... ich befürchte das Schlimmste. Papa bittet schon seit Tagen darum, mit einem Geistlichen sprechen zu dürfen. Ich glaube, er möchte seinen Frieden mit Gott schließen, ehe er ... ehe er ...“ Sie sah ihn verzweifelt an. „Und nun sind Sie hier, und sein Wunsch erfüllt sich. Deshalb habe ich Angst, dass er bald ... sterben wird.“ Erneut weinte sie in sein Halstuch, und Frey streichelte beruhigend ihren Rücken. Das arme, kleine Ding. Wenn ihr Vater im Sterben lag ...
Gütiger Gott! Er war der Geistliche, der Miss Pettifers Vater helfen sollte, seinen Frieden mit Gott zu schließen! Frey schluckte. Er hatte noch nie zuvor einem Sterbenden Trost gespendet. Hoffentlich irrte sie sich.
Sie packte ihn am Ärmel. „Würden Sie etwas für mich tun, bitte?“
Frey ertappte sich dabei, wie er bejahte.
„Ich möchte noch nicht, dass Sie zu Papa gehen. Ich fürchte ... ich fürchte, sobald er mit Ihnen gesprochen hat ... “ Sie war nicht imstande weiterzusprechen.
Wird er den Geist aufgeben, vollendete Frey ihren Satz in Gedanken. „Ja, wenn Sie glauben, dass es so das Beste ist, werde ich ihn nicht aufsuchen. Aber wenn es tatsächlich mit ihm zu Ende geht, muss ich das tun, das wissen Sie.“
Sie nickte tränenreich. „Ja, natürlich. Vielen Dank.“ Sie wirkte ein wenig schuldbewusst. „Er ist bettlägerig, daher ... wird er nicht erfahren, dass Sie hier sind. Es sei denn, jemand verrät es ihm. Ich verspreche jedoch, wenn er ... wenn das Schlimmste ...“
Frey nahm ihre Hand. „Ich weiß.“ Er schloss kurz die Augen, um für die rasche Genesung ihres Vaters zu beten.
Stattdessen musste er unwillkürlich an den Geschmack dieser süßen, weichen Lippen denken ...
Er hatte gar nicht vorgehabt, sie zu küssen. Er wusste gar nicht, was eigentlich in ihn gefahren war. Das war ganz untypisch für ihn gewesen. Zum Glück hatte sie nicht unangenehm reagiert. Es wäre wirklich
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