Ein Versprechen aus Afrika
Scheck gegriffen und die Summe gelesen. Er hatte es also nicht bis zum Ende geschafft, hatte seine Wachsamkeit einen Augenblick zu früh aufgegeben. Doch seine Euphorie wich plötzlich der Verblüffung. Was bedeutete dies? Der Süßwarenhändler brach nicht zusammen. Er wurde nicht bleich, er stammelte kein unzusammenhängendes Zeug, sondern sagte in aller Ruhe: »Fünfzigtausend Dollar, alles in Ordnung... Oh, Sie haben einen Fleck auf der Krawatte, Mister Lemmon.«
Der Versicherungsdetektiv war sprachlos, brachte kein Wort mehr hervor. An seiner Stelle ergriff der Notar das Wort.
»Aber Sie können ja sehen!«
»Ja, Herr Notar. Genauer gesagt, ich merke, wie mein Augenlicht gerade wiederkehrt. Würden Sie bitte wiederholen, wann die Versicherungsgesellschaft mir im Fall der Blindheit die Summe ausbezahlen muss?«
»Heute, zur Mittagszeit.«
»Es fing mit einem milchigen Nebel an und allmählich wurden die Umrisse schärfer. Als Erstes habe ich die Wanduhr über Ihrem Schreibtisch gesehen, die eine Minute nach Mittag anzeigte...«
So wurde dieses aufregende Blindekuh-Spiel beendet. Emily und Peter Clark kehrten in ihren Süßwarenladen in Redfield, Süddakota, zurück, wo sie in einer Stadt ohne Geschichte wieder zu Menschen ohne Geschichte wurden. Sie zahlten die fünfzigtausend Dollar in eine Stiftung für Blinde ein und Richard Lemmon, dem es nicht gelungen war, Peter Clark zu überführen, wurde von der Versicherungsgesellschaft entlassen.
Ein gewiefter Experte
Italien, 1930. Vladimir Olchyenski kam 1865 in Litauen zur Welt. Da er unter einem guten Stern geboren worden war, schaffte er es, in Amerika die berühmte Harvard-Universität zu besuchen. Alle Professoren waren sich darüber einig, dass Vladimir ein ungewöhnlich begabter Student war. Er begeisterte sich für Malerei, vor allem für die der italienischen Renaissance.
Sobald er seine Diplome in der Tasche hatte, reiste er nach Italien, seinem Traumland, in dem es so viele kostbare Meisterwerke der Renaissance gab, bekannte oder verkannte, anonyme oder verloren gegangene, deren Identität, Familie und Stammbaum wiedergefunden werden mussten. Und bei dieser Jagd nach Schönheit wirkte Vladimir Wunder, obwohl seine ethnische Herkunft a priori wenig mit dem Italien eines Giorgione, Tizian und Leonardo da Vinci gemeinsam hatte. Vladimir erregte mit seinem Instinkt, seiner visuellen Urteilsfähigkeit, seiner hingebungsvollen Arbeit, seinen profunden Kenntnissen und seinen Klassifizierungsmethoden großes Aufsehen. Er brachte in dieses Milieu, das neu für ihn war, das ganze Organisationstalent eines Mannes aus dem Norden ein. Aufgrund seines unfehlbaren Blicks riss man sich um ihn.
Im Lauf der Jahre wurde Vladimir, der seinen Namen kurzerhand gegen Levisson ausgetauscht hatte, die Kapazität für Gemäldegutachten. Überall tauchte der kleine bärtige Mann von vollendeter Eleganz auf. Schließlich kaufte er sich eine prachtvolle Villa in der Umgebung von Siena. Alle Besucher bewunderten die Gärten, die Säulengänge, den Park und die Springbrunnen. Dann heiratete er und wurde der Liebling der italienischen und internationalen gehobenen Kreise. Hier lernte er auch Harry Campbell kennen, der aus einer angesehenen englischen Familie von Kunsthändlern stammte. Campbell war vor allem auch Geschäftsmann. Er überlegte, dass in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Europa, vor allem in Italien, viele Meisterwerke zu vernünftigen Preisen zu erwerben waren. Und dass auf der anderen Seite des Atlantiks, also in den Vereinigten Staaten, Milliardäre lebten, die begierig nach Kultur und Kunst waren und davon träumten, mehr oder weniger geschmackvolle Meisterwerke aus Europa in ihrem Heim aufzuhängen, um sich eine kulturelle Vergangenheit aufzubauen. Ihre Vorfahren, die in den letzten hundertfünfzig Jahren in Amerika an Land gegangen waren, hatten nicht die Muße gehabt, die Kultur in ihre armseligen Koffer zu packen.
Campbell fing als effizienter Geschäftsmann an, den Austausch amerikanischer Dollar gegen italienische Gemälde, insbesondere die der Renaissance, zu organisieren. Seine Vorliebe galt eindeutig den bunten, leuchtenden Gemälden, die Luxus und Lebensfreude vermittelten. Um jedoch die amerikanischen Milliardäre zum Kauf zu bewegen, bedurfte es guter Zertifikate. Und wer war dafür geeigneter als der gewiefte Experte, der berühmte Vladimir Levisson? Dies kam Levisson sehr gelegen, da seine gesellschaftliche Stellung, der Unterhalt
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