Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
einmal darüber nach. Entscheidungen, die man in der ersten Aufregung trifft …«
»Werden instinktiv gefällt«, schnitt sie ihm das Wort ab, »und sind daher wahrscheinlich richtig.«
Schweigen trat ein. Kein freundliches.
Simon kam um den Schreibtisch herum und legte ihr eine weiße, schlaffe Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte Tess sie weggeschoben, aber sie riss sich zusammen.
»Denken Sie noch einmal darüber nach«, sagte er. »Bis Sie mir Ihre Kündigung schriftlich einreichen, weiß ich von nichts, okay?«
Gönnerhafter Idiot … Tess konnte sich nicht zu einer Antwort durchringen. Sie öffnete die Tür des Goldfischglases, verließ sein Büro und ging geradewegs zur Kaffeemaschine. Der Mensch, dem sie am dringendsten davon erzählen wollte, war Robin. Sie sehnte sich danach, seine ruhige Stimme zu hören, wollte sich von seinen mitfühlenden Worten und seiner gerechten Empörung trösten lassen. Du bist doch eindeutig die beste Wahl für den Job, Tess, würde er sagen. Wenn er das nicht sieht, ist er ein Schwachkopf.
Aber Robin hielt sie nicht für die Beste, oder? Tess hantierte mit dem Styroporbecher herum und wählte aus einer Laune heraus Espresso. Auch für Robin war sie nur die zweitbeste Option, denn er war nicht mit ihr zusammen, sondern mit seiner Nummer eins, seiner Frau.
Jetzt wäre sie am liebsten in Tränen ausgebrochen. Verdammt. Mit dem Espresso in der Hand ging sie in Richtung Toilette. Hoffentlich war sie leer. Klatsch oder gehässiges Mitgefühl konnte sie jetzt nicht ertragen. Engagement? Verfluchter Mist. Wie konnte man sich für Wasser engagieren?
In der Damentoilette kippte sie ihren Kaffee in einem Schluck hinunter und fühlte sich noch schlechter, weil er so ganz anders schmeckte als der Espresso, den Tonino ihr auf Sizilien gekocht hatte. So anders, dass er nicht einmal den Namen Kaffee verdiente.
Sizilien ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie konnte nicht aufhören, an Segesta und den Geschmack reifer Feigen zu denken. Sie wünschte sich beinahe, Edward Westerman hätte ihr die Villa Sirena nie vermacht. Das Erbe hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, ihr Leben auf den Kopf gestellt, alles verändert. Ohne die Villa wäre sie zum Beispiel immer noch mit Robin zusammen.
Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, tippte sie ein Kündigungsschreiben. Ich habe das Gefühl, dass meine Fähigkeiten und Erfahrungen nicht angemessen gewürdigt werden, schrieb sie. Mit Bedauern … Ja, von wegen.
Sie wartete bis vier Uhr nachmittags. Als sie sah, dass Simon hinausging, um mit Malcolm zu reden, legte sie den Brief auf seinen Schreibtisch. Sie suchte ihre Sachen zusammen, nahm ihre Tasche und verließ das Büro. So, sie hatte ihren Job gekündigt. Aus Prinzip. Aber was jetzt?
Sie war erst ein paar Minuten von der Arbeit zu Hause, als Lisa anrief.
»Ich habe vorhin Ausschau nach dir gehalten«, sagte sie. »Aber du bist wie eine Verrückte ins Haus gestürzt. Bist du okay?«
Nein , dachte Tess. »Ja, natürlich«, sagte sie. »Es ist nur die Arbeit … Du weißt schon.« Sie würde es Lisa schon sagen. Sie erzählte Lisa irgendwann immer alles. Aber jetzt wollte sie sich erst einmal allein damit verkriechen.
»Ich wollte kurz mit dir über Samstagabend reden«, erklärte Lisa.
Am Samstag wurde Lisa vierzig und gab eine große Party. Das war ehrlich gesagt das Letzte, wozu Tess in ihrer gegenwärtigen Stimmung aufgelegt war. Gestern Nachmittag bei Kaffee und Karamellplätzchen hatte sie Lisa allerdings noch erklärt, dass sie sich das Fest um nichts in der Welt entgehen lassen würde. »Wenn du willst, kann ich gegen vier kommen und dir helfen«, sagte sie.
»Das ist lieb von dir, Süße, aber ich hatte vergessen, dir zu sagen …« Lisa zögerte. »Du weißt, dass du Robin mitbringen kannst, wenn du möchtest, okay?«
Tess seufzte. Robin hatte heute dreimal versucht, sie anzurufen. Sie hatte nicht abgehoben. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich mich nicht mehr mit Robin treffe. Seit Sizilien nicht mehr.« Sie fragte sich, was passiert wäre, wenn sie mit Robin nach Cetaria geflogen wäre. Jedenfalls wäre das mit Tonino nicht passiert, so viel war sicher. Dabei war eigentlich gar nichts passiert. Und wenn man Giovanni glauben wollte, durfte es das auch nicht.
Lisa lachte. »Die Oper ist erst vorbei, wenn die dicke Dame gesungen hat, Tess. Du hast noch nicht mit ihm geredet, oder?« Tess hörte, wie Lisa die Hand über den Hörer legte und ein kurzes, gedämpftes
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