Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
muss gestehen, ich habe wohl noch nie so gut ausgesehen. Das zarte Lindgrün des Kleides schmeichelt meinem blassen Teint, der plötzlich weich und cremig wirkt, und Gleiches gilt für meine mausgrauen Haare. Die schimmern regelrecht. Meine Knöchel wirken zart und schmal, während meine Oberschenkel gut unter dem weiten Rockteil versteckt sind, genau wie meine Oberarme unter den kleinen Ärmelchen. Und was meine Brüste angeht – nun ja, offen gestanden sehen die in diesem Kleid fantastisch aus. Normalerweise verberge ich sie unter unförmigen Klamotten, aber die versteckten Korsettstäbchen heben und stützen sie und zwingen mich, gerade zu stehen und die Schultern zurückzunehmen.
»Ach Evie, es ist so schön zu sehen, dass du mit deinem Aussehen zufrieden bist«, sagt Delilah. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn du immer so streng mit dir bist. Also«, meint sie begeisternd klatschend, »dann wäre das beschlossen, ja?«
»Was soll beschlossen sein?«
»Na, was du zu deiner Verabredung trägst, natürlich.«
»Ähm, nein«, entgegne ich entsetzt.
»Evie, du musst dieses Kleid zu deinem Rendezvous tragen, du musst einfach. Es ist PERFEKT.«
Entgeistert starre ich sie an. »Aber ich weiß doch noch gar nicht, wo wir hingehen. Ich würde mich ja zum Affen machen, wenn ich in diesem Fummel in einem Pub aufkreuze.«
»Oh.« Im ersten Moment wirkt sie ein wenig enttäuscht, doch dann blitzen ihre Augen schon wieder. »Tja, dann musst du wohl leider für jedes mögliche Szenario ein passendes Outfit anprobieren!« Entzückt klatscht sie in die Hände, dann verschwindet sie beinahe in meinem Schrank , späht unter diese und jene Plastikhülle und zieht schließlich eine Chiffonbluse mit rosa Punkten heraus, die sie mir in die Hand drückt. »Probier die mal mit der schmalen marineblauen Hose. Na los, Evie, mach schon, MACH SCHON!«
Gehorsam trolle ich mich ins Badezimmer. Ich weiß nur zu gut, dass es keinen Sinn hat, mit Delilah zu diskutieren, wenn sie diesen Ton an sich hat.
Eine Stunde später habe ich vier weitere Ensembles für vier verschiedene Szenarien anprobiert: ein langärmeliges, gerüschtes schwarzes Wickelkleid mit tiefem Dekolletee für eine schicke Dinner-Verabredung; eine pelzbesetzte Tweedjacke aus den vierziger Jahren, kombiniert mit einem weichen, cremefarbenen Pulli mit Wasserfallausschnitt, Jeansrock und kniehohen Siebziger-Jahre-Stiefeln für einen sonntagnachmittäglichen Landspaziergang; ein entzückendes Wickelkleid mit Pferdedruck, kombiniert mit hochhackigen Hochfrontpumps und einem Kamelhaarcape für einen Ausflug zum London Eye (»Der Kerl ist Amerikaner«, hatte Delilah gerufen, »garantiert kommt irgendwas in der Art!«); und ganz zum Schluss, und nur, weil Delilah mich förmlich anbettelt, ziehe ich auch noch eines der asymmetrisch geschnittenen Satinabendkleider aus den Dreißigern an, für eine aufregende Nachtin einem Pariser Hotel. Auch wenn ich dabei unerfreulicherweise an Jamie denken muss. Delilah seufzt und sagt, es sei so schrecklich lange her, seit sie das letzte Mal in Paris war oder auch bloß Sex hatte, dass sie es eben aus zweiter Hand miterleben muss, also lasse ich mich schließlich überreden.
Eine weitere Stunde später sind wir sturzbetrunken. Ich habe Ist das Leben nicht schön? auf DVD eingelegt, und wir haben uns zusammen ins Bett gekuschelt und schniefen ergriffen und himmeln gleichzeitig hingerissen Jimmy Stewardan.
»Was einem keiner sagt«, nuschelt Delilah, während sie sich neben mir ausstreckt, »ist, dass man, wenn man erst mal verheiratet ist und Kinder hat, nie mehr ausgeht oder irgendwelche schönen Dinge unternimmt, aufregende Dinge, wie damals, als man sich ineinander verliebt hat. Es bleibt nur endlose Monotonie. Arbeit, Kinder, Kochen, Aufräumen, noch mehr Arbeit, Schlafen.«
Sie dreht sich auf die Seite und stützt sich auf den Ellbogen. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Evie?« Ich drehe mich zu ihr um und schaue sie an und sehe einen versonnenen Blick in ihren Augen. »Manchmal wünschte ich, ich wäre du. Du hast alles noch vor dir, stimmt’s? Deinen Traumjob, deine erste eigene Wohnung, dich verlieben, verloben, verreisen, heiraten, das erste Baby – wie aufregend, all das zum ersten Mal zu erleben! Und dann sieh mich an; ich habe nur das hier. Für. Den. Rest. Meines. Lebens.« Seufzend wendet sie sich um und starrt an die Decke. »Ich weiß, das klingt jetzt ganz schrecklich, aber ich kann mir einfach den Gedanken nicht
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