Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
verkneifen: Soll das schon alles gewesen sein?«
»Das klingt gar nicht schrecklich, Lila«, sage ich sanft. »Das ist ganz normal. Vielen Frauen geht es genauso. Aber sieh dich doch nur an! Du bist bildhübsch, klug, hast eine beeindruckend erfolgreiche Karriere hingelegt, einen wunderbaren Ehemann, zwei tolle Kinder und dieses unglaubliche Haus. Für dieses Lebenwürden andere Frauen morden. Wohingegen die meisten, würde man ihnen mein Leben zum Tausch anbieten, vermutlich sagen würden: ›Ähm, nein danke, da bleibe ich lieber bei meinem alten Leben.‹ Du bist bloß ein bisschen gefühlsduselig vom Wein.«
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnet Delilah beschämt. »Ich weiß, dass ich ein Glückskind bin, aber ich kann doch nichts für meine Gefühle. Vielleicht kommt das daher, dass ich bald fünfunddreißig werde. Ich meine, lieber Gott, das ist so deprimierend. «
Worauf ich ihr tröstend die Schulter tätschele. »Würde es dir helfen, wenn ich dir versichere, dass du jünger aussiehst als ich?« Delilah lächelt matt, und ich setze mich in den Schneidersitz auf. Dann ziehe ich eine überzogene Grimasse und weise auf die Runzeln auf meiner Stirn. »Siehst du. Und jetzt sag mir ganz ehrlich, fändest du es nicht wesentlich deprimierender, achtundzwanzig zu sein und so was im Gesicht zu haben? Joan Collins hat weniger Falten als ich!«
Sie muss lachen, und ich bemerke, wie sie sich eine einzelne kleine Träne wegwischt.
»Das Alter ist doch heutzutage bedeutungslos, Lila«, sage ich bloß und tätschele ihr Knie. »Schau dir doch nur mal Kate Moss an! Und dann sieh dir mich an. Ich bin vielleicht sechs Jahre jünger als du, aber ich arbeite in einem verstaubten Tante-Emma-Laden, ich habe kein Sozialleben, und seit Jamie mich verlassen hat, auch keinen Sex mehr! Und das ist mittlerweile zwei Jahre her, Lila. Ich meine, streng genommen bin ich inzwischen wieder eine Jungfrau!« Ich lache gezwungen, und Delilah lacht mit, aber mein Lachen kommt nicht von Herzen. Im Moment will ich einfach bloß Delilah von ihrer kleinen weinunseligen Midlife-Crisis ablenken. Um mein nicht mal durchschnittliches Leben kümmere ich mich später.
»Und jetzt«, rufe ich und klatsche entzückt in die Hände, als mir genau die richtige Idee kommt, um sie ein bisschen aufzumuntern, »bist du dran mit der Modenschau. Also, nehmen wir an, du hast ein Date, bei dem tatsächlich die Möglichkeit besteht, dass ihr im Bett landet und unaussprechliche Dinge miteinander tut, was würdest du dann tragen?« Und damit weise ich auf den Schrank und gewähre ihr so wortlos Zugang zu seinen unbezahlbaren Schätzen, obwohl mir beim Gedanken daran ein klein bisschen schlecht wird.
»Ach, Evie, ich kann doch unmöglich …«, meint Delilah und lächelt mich an. Von den Tränen kleben ihre Wimpern zusammen, und auf einmal sieht sie aus wie die junge Twiggy, mit Wimpern wie Spinnenbeinchen und großen unschuldigen Rehaugen.
Sie schaut den Schrank an und dann wieder mich, und dann lehnt sie sich über das Bett zu mir herüber und lässt meine Haare wie einen Schleier über meine Schultern fallen, wie sie es sonst immer bei Lola macht. »Diese Kleider, na ja, die sind so etwas wie die Essenz von Evie, nicht wahr? Die kann ich unmöglich anprobieren. Niemand könnte ihnen so gerecht werden wie du.«
Ich muss schlucken, so sehr berührt es mich, wie viel Feingefühl meine Schwester an den Tag legt. In solchen Momenten spüre ich ganz besonders, wie sehr ich sie liebe und brauche.
Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde.
Freitag, 2. Dezember
Noch dreiundzwanzig verkaufsoffene Tage bis Weihnachten
Zehntes Kapitel
M orgen, Felix«, rufe ich und halte ihm einen extrastarken Caffè Americano von Starbucks vor das Fensterchen seines Wachschalters.
Zum Glück ist Freitag, aber Felix sieht ganz und gar nicht aus, als freue er sich auf das Wochenende. Er lächelt mir matt zu und streckt die Hand nach seinem Kaffee aus. Sein Gesicht ist aschfahl vor Müdigkeit, aber wenn ich mir vorstelle, dass ich die ganze Nacht wach gewesen wäre, sähe ich jetzt vermutlich auch aus wie ausgespuckt. Jeden Morgen, wenn ich hier vorbeikomme, sitzt Felix auf seinem Posten. Er ist Mitte siebzig, und man könnte ihn wohl als ungeschliffenen Diamanten bezeichnen. Er ist schlank für sein Alter, hat durchdringende blaue Augen, strubbelige dunkelgraue Haare und einen ebensolchen Dreitagebart. Irgendwie wirkt er ein bisschen verwahrlost; wie ein Mann, dem
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