Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
verregneten Sonntagnachmittag endlos Webseiten mit amerikanischen Vintage-Sachen durchstöbert habe, um Delilah, Will und den Kindern unten ein bisschen ungestörte gemeinsame »Familienzeit« zu gönnen. Es ist aus wunderschönem, weichem lindgrünem Seidenchiffon, und die Schultern kann man raffen oder offen über die Oberarme fallend tragen, und das tiefe Dekolletee wird an der Büste durch eine zarte Korsage entschärft. Ein gerüschtes Satinband um die Taille betont diesen Teil meiner Silhouette besonders hübsch, und der Rockteil fällt weit und schwingend und geht sehr schmeichelhaft bis ungefähr auf halbe Wadenlänge. Es ist zurückhaltend und doch sexy, klassisch und doch außergewöhnlich, schlicht, aber mit reizenden Details. Es ist perfekt.
Ich bin etwas nervös, als ich meinen BH öffne und in das Kleid steige. Der Chiffon streift meine Haut, und ich bekomme am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich es über Hüften und Brüste ziehe und mich hineinschlängele. Die figurformende Unterwäsche, die ich sonst immer trage, brauche ich nicht, denn das Kleid ist so gearbeitet, dass es stützt und umspielt, gleichzeitig hebt und jegliche (oder in meinem Fall zahlreiche) Hubbel und Ringe kaschiert. Ich raffe meine Haare im Nacken zusammen und zwirbele sie zu einem Dutt zusammen, den ich dann am Hinterkopf festhalte, während ich vor den Spiegel trete, der über dem Waschbecken hängt. Ich will es Delilah nicht vorführen, ehe ich mich vergewissert habe, dass ich darin nicht vollkommen lächerlich aussehe. Die Chiffonlagen verhüllen gnädig eine Unzahl von Sünden und lenken den Blick stattdessen auf meine recht schmale Taille, auf die ich eigentlich ziemlich stolz bin, während sie Hüften und Oberschenkel kaschiert, auf die ich alles andere als stolz bin. Darunter fällt der Chiffon in einer Kaskade sinnlichfließenden zarten Stoffs bis über die Knie und umgeht geschickt die meisten weniger schmeichelhaften Körperteile. Schließlich schlüpfe ich noch in ein paar silberne Vintage-Peeptoes von Gina und atme tief durch, um mich dann im Spiegel zu betrachten.
Nicht schlecht.
Ich mache einen Schritt aus dem Badezimmer. Delilah hat die Nase in der neuesten Ausgabe der Vogue vergraben. Ich räuspere mich, damit sie mich bemerkt, und sie schaut hoch und starrt mich reglos, ohne zu blinzeln, an. Ihr Mund klappt auf und wieder zu, aber es kommt kein Ton heraus. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen ist oder nicht.
»Lila?«, piepse ich. »Könntest du was sagen … bitte?«
Doch sie schüttelt nur stumm den Kopf. Dann krabbelt sie hastig aus dem Bett und kommt auf mich zu. Sie packt mich an den Armen und mustert mich von Kopf bis zu den Zehen, denen ein bisschen Nagellack nicht schaden könnte, wie mir da aufgeht. Schnell versuche ich sie einzuziehen und in den Schuhen zu verstecken.
»Das ist zu viel, oder?«, murmele ich. »Ich meine, das würde ich sicher nicht zu unserer ersten Verabredung tragen. Das könnte ich höchstens anziehen, sollte ich mal zu einem größeren Ereignis eingeladen werden, du weißt schon, wie, wie … der Oscarverleihung oder so was, was, wie du weißt, natürlich jederzeit passieren könnte, denn ich führe schließlich ein wildes, aufregendes Leben …« Ich lache gezwungen. Delilah starrt mich immer noch an. »Wie dem auch sei, ich ziehe mich jetzt wieder um …«
»Könntest du mal für EINEN MOMENT die Klappe halten?«, sagt Delilah ungehalten, während sich ein Lächeln in ihre Mundwinkel schleicht. »Ich will einfach in Ruhe den Augenblick genießen, in dem meine kleine Schwester zur erwachsenen Frau wird. Schau dich nur an, Evie!« Sie dreht mich um die eigene Achse wieeine Ballerina und dirigiert mich dann vor den großen Spiegel, der innen an der Schranktür angebracht ist. »Du siehst bildschön aus!«
»Man kann es auch übertreiben«, entgegne ich verlegen. Ich sehe ganz passabel aus, ja, vielleicht sogar hübsch, aber bildschön? Nie im Leben. Ich liebe meine Schwester sehr, doch selbst mir ist klar, dass sie maßlos übertreibt. Aber das ist nicht schlimm. Was sie damit sagen will, ist, ich sehe besser aus als je zuvor, und genau das wollte ich ja eigentlich auch erreichen.
Unbarmherzig mustere ich mein Spiegelbild und beäuge mich mit demselben unbestechlichen Blick wie morgens unsere Schaufensterdeko, wenn ich mir wieder einmal überlege, wie man die aufpeppen könnte, würde man mich nur lassen. Ich versuche kritisch zu bleiben, doch selbst ich
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