Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
vor, das Warenlager zu verlassen, also besteht keinerlei Gefahr, unversehens Joel über den Weg zu laufen.
Leise trage ich mein Fahrrad die Treppe hinunter, schnalle den Rucksack an, der schwerer ist als gewöhnlich, steige auf und radele wie wild los. Es ist ein eisig kalter Morgen, und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis die Sonne ihr müdes Haupt erhebt und es beginnt zu dämmern. Aber das ist mir egal. Ich bin kein bisschen müde; ich sprudele nur so vor Lebenslust und Einfällen und Aufregung. Ich kann es kaum erwarten, mich an die Arbeit zu machen.
»Was machst du denn hier?«, fragt Felix erstaunt mit einem Blick auf die Uhr, als ich durch den Personaleingang hereinkomme. »Du fängst doch erst in gut anderthalb Stunden an.«
»Ach, ich konnte nicht mehr schlafen«, schwindele ich und schlage schuldbewusst die Augen nieder. Ich weiß, eigentlich sollte ich ihm sagen, warum ich um halb sechs morgens hier antanze, aber ich muss erst herausfinden, ob meine Idee sich überhaupt umsetzen lässt, ehe ich irgendwen einweihe. Denn insgeheim befürchte ich, der Erfolg in der Herrenoberbekleidung könnte ein einmaliger Ausreißer gewesen sein. Und dieser Laden bedeutet Felix einfach viel zu viel, um ihm falsche Hoffnungen zu machen.
Weil ich unbedingt gleich anfangen will, drücke ich ihm meine Mitbringsel von unserer Teestunde im Claridge’s in einer kleinen Papiertüte in die Hand – um ehrlich zu sein, sehen die Sachen nach einem Tag bei mir zuhause und der Radfahrt hierher nicht mehr ganz so taufrisch aus wie erhofft –, und er scheint sich aufrichtig zu freuen. Es tut mir leid, dass ich nicht wie gewöhnlich Zeit für ein kleines Schwätzchen habe, aber ich hoffe, die Scones und der Kuchen können ihn ein wenig entschädigen. Eilig laufe ich den Gang hinunter und durch die Tür zur Kosmetikabteilung. Von dort steure ich sofort auf die Haupttreppe zu, wo ich mich über das Geländer lehne und hinunter in die Herrenabteilung spähe. Mein Arrangement der von Kino-Idolen inspirierten Schaufensterpuppen steht noch da, doch die Abteilung wirkt etwas verwüstet. Guy muss am Wochenende alle Hände voll zu tun gehabt haben. Ich nehme mir vor, hier als Erstes die Auslagen aufzufüllen, da Guy offensichtlich keine Zeit dazu gehabt hat. Aber vorher gibt es noch etwas anderes zu tun.
Zuerst flitze ich ins Warenlager, um ein paar wichtige Requisiten zu besorgen, dann gehe ich durch das Atrium im Erdgeschoss zurück zur Kosmetikabteilung mit ihren zahllosen Vitrinen voller regenbogenbunter Lidschattenpaletten und Reihen knalliger Lippenstifte, die strammstehen wie Soldaten einer kunterbunten Armee. Fast hat es den Anschein, als läge alles seit den achtziger Jahren unverändert in den Auslagen. Und wieder kommt mir der Gedanke an die Zeitschleife, in der Hardy’s gefangen ist. Woran sich die unvermeidliche Frage anschließt, ob dieses Warenhaus womöglich einfach an Altersschwäche eingehen wird. Vielleicht liege ich ja völlig falsch, und wir müssen tatsächlich mit der Zeit gehen, wie Rupert meint, und ein stylisches Zukunftsunternehmen werden, wie Carly es sich ausmalt. Müssen wir vielleicht allesamt härter, smarter, sexier werden, um in diesem hart umkämpften Markt und dem schwierigen wirtschaftlichen Klima zu überleben? Ich beiße mir auf die Lippen beim Gedanken daran, mein Plan könne spektakulär nach hinten losgehen.
Was ich hier mache, könnte mich meinen Job kosten. Aber andererseits, überlege ich, ist es das Risiko wert, wenn auch nur die geringste Chance besteht, Hardy’s damit zu retten.
Entschlossen marschiere ich weiter durch die Abteilung, fahre mit den Fingern über die Regale und muss es mir verkneifen, prüfend meine Fingerkuppen zu begutachten. Ein bisschen Staub wäre Hardy’s kleinstes Problem, und außerdem leistet die Putzkolonne tadellose Arbeit. Und die will ich mit meinen dämlichen Marotten auf keinen Fall kränken. Ich muss an Mum denken, die nicht mal das kleinste Staubkörnchen oder den Hauch von Unordnung im Haus erträgt, und frage mich, ob ich wohl genetisch prädisponiert bin, irgendwann mal genauso zwanghaft zu werden wie sie. Wobei ich nicht genau weiß, ob mich der Gedanke in Angst und Schrecken versetzen oder mit Dankbarkeit erfüllen soll.
Es ist irgendwie komisch, aber auch ganz nett, nicht von einer ganzen Schwadron weißbekittelter Putzkolonnenarbeiter begrüßt zu werden, die fieberhaft feudelnd um mich herumwuselt, während ich vorbeigehe. Ich muss an Gwen
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