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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Enkeltochter ging auf die Knie und umarmte den sitzenden Großvater. Ich hätte ein Photo machen sollen und noch ein weiteres Photo, doch Schnappschüsse waren nicht unsere Methode; obgleich wir sahen, wie Fonty am Ende seines langen und von behutsamen Gesten begleiteten Berichts umarmt und ihm danach von Madeleine eine winzige Schachtel überreicht wurde, gibt es kein Zeugnis von diesem feierlichen Moment, in dem der ehemalige Obergefreite und Kriegsberichterstatter Theo Wuttke, um Jahrzehnte verspätet, ganz inoffiziell und nach familiärer Zeremonie, einen französischen Orden bekam.
    Er wird seiner Enkeltochter erzählt haben, was Hoftaller bestätigt hat: Fonty gehörte zur Résistance, nein, nur zeitweilig war er auf selten des französischen Widerstands oder genauer: Der Obergefreite Theo Wuttke ließ sich ab Frühjahr 44 von einer kleinen, isoliert aktiven Partisanengruppe benutzen. Nicht, daß er im Untergrund mit Sprengsätzen Munitionszüge oder Brücken in die Luft gejagt hätte., aber einen Partisanensender, der dreieinhalb Monate lang in Betrieb blieb, hat er mit halbstündigen Vorlesungen bedient, die für die Soldaten der Besatzungsmacht bestimmt waren. Er las insbesondere aus den Büchern des Unsterblichen, nicht nur aus den Romanen, auch aus dem schmalen Bändchen »Kriegsgefangen, Erlebtes 1870«, in dessen Kapiteln er seine Liebe zu Frankreich mit seiner Kritik am französischen Chauvinismus ins Gleichgewicht gebracht hat. Diese vormittäglichen Rundfunksendungen, die auf plumpe Propaganda verzichteten, sollen erfolgreich gewesen sein, besonders ab Beginn der Invasion. Es hieß: Des vorlesenden Soldaten Stimme brilliere in Dialogpassagen, gebe Nebensätzen ironische Bedeutung, pflege den mal knappen, mal ausschweifenden Plauderton, könne wohltönend weich, aber auch von preußischer, alles aufs Kurze bringender Schärfe sein. Und da der Soldat seine Lesungen – etwa aus »Schach von Wuthenow« – mit Kurznachrichten von der Invasionsfront unterbrach oder vom Attentat im Führerhauptquartier Wolfsschanze ohne Tendenz, eher sachlich berichtete, wobei er die Kämpfe um Caen mit dem normannischen Herkommen der erfolgreichen Attentäterin Charlotte Corday und den am mißglückten Attentat beteiligten Adel geschickt mit Preußens ruhmreicher Geschichte verquickte, gelang es ihm, den Kampfgeist der bereits angeschlagenen Wehrmacht durch beiseite gesprochene Nachdenklichkeiten zu schwächen, jedenfalls im Besatzungsbereich Lyon.
    Uns hat Hoftaller versichert, daß man dieses Verdienst erst nach langen Recherchen einem anfangs namenlosen deutschen Soldaten zugesprochen habe. Dabei hätte seine Dienststelle behilflich werden und endlich den gesuchten Luftwaffen-Obergefreiten ausfindig machen können. Doch erst ab Mitte der achtziger Jahre wäre man auf französischer Seite bereit gewesen, den Namen Theo Wuttke in Erwägung zu ziehen. Es war wohl Hoftaller persönlich, der sein Objekt namentlich anerkannt sehen wollte; dank seiner Firma verfügte er über Kontakte zur Kommunistischen Partei Frankreichs. Und seit vier Jahren schon stand er mit Madeleine Aubron in Verbindung, teils über vermittelnde Personen, teils direkt, anläßlich einer Dienstreise, die uns von beiden als Ortstermin mit dem Datum Mal 87 bestätigt wurde. Als der Arbeiter- und Bauern-Staat sein vierzigjähriges Jubiläum begehen wollte und ihm seinen weiteren Bestand abstützende Feierlichkeiten als Planziel sicher waren, sollte Theo Wuttke im Rahmen des Festprogramms offiziell geehrt werden; doch als es soweit war, kamen in Frankreich Bedenken auf, weil sich bereits das Ende des zur Selbstfeier bereiten Staates abzeichnete. Nur so können wir uns die Übergabe des winzigen Kästchens erklären, die bei einer vormittäglichen Bootsfahrt stattfand, als die knieende Enkeltochter den sitzenden Großvater dekorierte und ihm sogar eine Urkunde übergab, die allerdings nur durch Madeleines Handschrift und von keinem Behördenstempel beglaubigt war. Jedenfalls trug Fonty seitdem am linken Revers seiner Jacke bei besonderer Gelegenheit ein kleinfingernagelgroßes Ordensband. Wenn wir ihn nach der Bedeutung des signalroten Tupfens fragten, schwieg er vielsagend oder redete sich auf den Maler Corot heraus, in dessen grünen Bildern stets und raffiniert versteckt ein Blutstropfen zu finden sei; allenfalls sagte er: »Die Compagnons de la Résistance glaubten, meine Vortragskunst auszeichnen zu müssen. Doch diese Fähigkeit wurde schon früh im

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