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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Tunnel über der Spree gelobt, etwa von Merckel, als ich mit balladeskem Ton den Tower in Brand steckte und die versammelten Tunnelbrüder von der in Versen angezettelten Feuersbrunst nicht genug hören konnten. ›Da capo‹, riefen sie; wenngleich das Feuer, wie wir wissen, dem Tower nichts anhaben konnte …«
    Was noch alles im Boot erzählt, berichtet oder nur leichthin zwischen Heck und Ruderbank geplaudert wurde, hörten wir nicht. Nur einmal, als Madeleine ihren Großvater wieder in Ufernähe ruderte, schnappten wir Wortfetzen auf, die auf »Irrungen, Wirrungen« schließen ließen. Von einer Kutschfahrt durch die Hasenheide zum Friedhof und von Immortellen auf dem Grab der alten Frau Nimptsch war die Rede. Später parodierte Madeleine die dumme Käthe: »Ach, das ist zu komisch … der Laubfrosch!« Und Fonty rief den Schlußsatz des Romans: »Gideon ist besser als Botho!« Seine Stimme trug auf dem Wasser. La petite wiederholte diese Behauptung, woraufhin Großvater und Enkeltochter zweistimmig lachten und sich Madeleines eigentlich kleiner Mund zu clownesker Größe weitete. Dann riefen sie abwechselnd oder gleichzeitig: »Gideon ist besser als Botho!« Mal klang das lustig, mal verzweifelt, schließlich sogar höhnisch. Immer wieder, als müsse ein Urteil gefällt oder das Schicksal als unabwendbar beschworen werden, riefen beide und bildeten mit den Händen Trichter: »Gideon ist besser als Botho!« Bald kam von anderen Booten und von der ans Ufer grenzenden Liegewiese Antwort: »Wer is besser? Stimmt watt nich, Opa?« Wir begriffen sofort den weittragenden Doppelsinn dieser abschließenden Wertschätzung. Madeleine Blondin hatte sich zwar geweigert, wie Lene Nimptsch eine zweite Wahl zu treffen, vielmehr ist sie mit ihrer abgekapselten Liebe in den Cevennen einsam geblieben; doch ihre Tochter Cécile flüchtete, kaum war sie knapp siebzehnjährig der Mutter aus bergiger Einöde entlaufen, nach Montpellier und in die Ehe mit einem Automechaniker namens Gilles Aubron, der, beträchtlich älter als sie, dem Cevennenkind Halt gab und ihm proletarische Prinzipientreue versprach. Später, mit eigener Werkstatt, kam sogar ein wenig Wohlstand zusammen. Als das einzige Kind dieser offenbar glücklichen Ehe davon seinem Großvater beim Rudern erzählte und ihm ein streng behütetes Familienleben bis hin zu Tischsitten und Sparvorschriften ausgemalt wurde, hörten wir ihn eher halblaut als weithallend sagen: ›Jaja. Selbst ein Gilles ist wohl besser als ein Théodore.« Danach wechselten sie den Platz. Ganz schnell ging das, leichtfüßig. Sobald sich Fonty wie ein gelernter Ruderer in die Riemen legte, rief Madeleine: »Bravo, Großpapa!« Mit hochgezogenen Knien, die sie umklammert hielt, hockte sie auf der Heckbank und zeigte uns ihren spitzen Nasenwinkel. Der rudernde Greis mochte inwendig an einem Vierzeiler arbeiten, der später in einem Brief an seine Tochter Martha in Reinschrift stand: Wir haben uns in einem Boot gefunden, das schon auf frühem Wasser leichte Liebe trug. Nun zählen wir die nachgelaßnen Wunden, das Herzeleid – und was uns sonst noch schlug.
    Erst als der Großvater alle Reime beieinander hatte und ihm, wie er sagte, »nach einem Cognac zum Kaffee war«, ruderte er seine Enkeltochter, die, wie sie sagte, »ein richtiges Bier zischen« wollte, in Richtung Anlegesteg und Terrassen-Café, wo ich schon unter Kastanien saß, bei einer Selters und, abgewendet, mit Notizen beschäftigt. La petite trank noch ein zweites Bier.

22 Zu dritt im Boot
    Waren schön anzusehen, die beiden, nun unterwegs: der mit Stock ausschreitende Greis und das schritthaltende Mädchen, seine siebzig, ihre zweiundzwanzig Jahre, er rüstig im knittrigen Leinenanzug, sie zierlich in ihrem Blau in Blau geblümten Hänger versteckt, sein in der Mittagssonne loderndes Weißhaar, ihr dunkler, von keinem Kamm zu glättender Strubbelkopf, Großvater und Enkeltochter auf städtischem Pflaster – wir hinterdrein. Vom Alexanderplatz, wo sie den Fernsehturm mit Rundblick von oben für später aufsparten, zum Palast der Republik, der von Amts wegen – asbestverseucht! geschlossen war, über die Französische Straße am Dom vorbei, rechts ab in die Glinka-, links ab in die Behrenstraße, wo die stolze Frau von Carayon mit wenig ansehnlicher Tochter gewohnt hatte und der Schönling Schach von Wuthenow in die Ehefalle getappt war; Fonty hielt im Vorbeigehen einen Vortrag über die Macht des Ridikülen. Und nun übers letzte

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