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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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rief er: »Alles Mumpitz!« Und: »Autodidakten übertreiben immer!« Er widersprach: »Irrtum, Tallhover! Schon Pietsch hat bestätigt, daß ich in ›Zwischen Zwanzig und Dreißig‹ weder mich noch andre geschont habe …« Er holte zur Gegenrede aus: »Freut mich, daß es mit Ihrem Gedächtnis so kolossal hapert. Unser erstes Kontaktgespräch fand nicht vor, sondern bald nach meiner Eheschließung statt. Und zwar im Spätherbst fünfzig, kurz vor Auflösung des ›Literarischen Kabinetts‹. Wir trafen uns hier im Tiergarten, genauer, beim Kahnverleih In den Zelten. Sie wollten unbedingt aufs Wasser. Aber mir war nicht nach Rudern. Also setzten wir uns in den Biergarten Moritzhof Die letzten Kastanien fielen. Weißbier und Blätterfall. Und gleich nach dem ersten Schluck lag mein Dossier auf dem Tisch, nicht dick, aber ausreichend …« Wenn Fonty nach solchen Erklärungen schwieg oder so tat, als sei er nur noch an Entenfamilien und einem besonders fleißigen Haubentaucher interessiert, gelang es ihm dennoch nicht, außer stumm taub zu sein. Jemand sprach auf ihn ein. Wenn nicht Hoftaller, dann Tallhover. Dessen unbekümmertes Nörgeln war nicht abzustellen: »Nicht im Spätherbst, gleich nach Ihrer letzten Tollerei, dem mißglückten Versuch, auf selten Schleswigs gegen die Dänen den Kriegshelden zu mimen, Ende August fünfzig habe ich Sie vorladen müssen. Treffpunkt Tiergarten stimmt. War das ne Hitze! jedenfalls konnte der Bräutigam schon kurz vor der Hochzeit mit unserer Unterstützung rechnen. Ab September wurden Sie als Lektor im ›Literarischen Kabinett‹ von der Regierung bezahlt. Wurde Zeit, daß Sie unter die Fittiche kamen. In jeder Beziehung. Privat sorgte Ihre gestrenge Emilie, offiziell standen Sie unter Aufsicht des Herrn von Merckel; Ihr Gönner, gewiß, aber auch unser Mann. Ein Zensor höchster Güte, wie es ihn heute in unserer Branche kaum noch gibt. Wußte ne Menge, war rundum gebildet, ist mir unerreichtes Vorbild gewesen. Der konnte nicht nur Soldaten gegen Demokraten reimen, der hatte mehr auf dem Kasten. Sein Fürsorgeprinzip, knapp, aber regelmäßig zu zahlen, wirkte beispielhaft. Jedenfalls war Ihre junge Frau froh, endlich mit nein festen Gehalt rechnen zu dürfen. Ein Jahr später war ja schon George, der Stammhalter, da …« Inzwischen bot, zwischen Enten, der Haubentaucher ein Gegenprogramm. »Laß ihn quasseln!« mag Fonty sich gesagt haben. »Immerhin erschienen meine gesammelten Gedichte. Und was Merckel betrifft, bahnte sich freundschaftlich kollegialer Umgang an …«
    »Aber ja doch. Von Familie zu Familie, später mit Briefwechsel hin und her. Niemand hat sich so liebevoll um Ihren armen, vom Vater vernachlässigten Sohn Theo gekümmert wie die Merckels. Kein Wunder, wenn bei solcher Protektion nicht ein Posten frei gewesen wäre, und zwar bei der ›Centralstelle für Presseangelegenheiten‹, einem nur lässig verdeckten Zensurbetrieb, dem sich unsere verkrachte Existenz – bei all dem Gejammer zu Haus – fügen mußte, zumal ihm nach Rastatt die letzten revolutionären Hahnenfedern gerupft waren. Hinkeldey hieß Berlins Polizeipräsident …« Der Haubentaucher war weg und plötzlich wieder woanders da. Fonty ließ sich überraschen. Nach jedem Abtauchen verwettete er sich. Gerne wäre auch er so unberechenbar mal hier, mal dort, nach Lust und Laune – sei’s für Minuten nur weg gewesen: »Alles furchtbar richtig, Tallhover! Habe mich verkauft, damit ein Wunsch in Erfüllung ging. Endlich mal raus aus den ledernen Zwängen. Über Köln, Brüssel, Gent und Ostende nach London, wenn auch mit ministeriellem Knüppel am Bein. War meine erste richtige Englandreise, denn die allererste, diese zwei Wochen auf Pump, zählt nicht. Mußte mir allerdings, trotz Auftragskorrespondenzen, ein Zubrot verdienen, gab Sprachunterricht! So schlecht bezahlt war ich. So elend lohnte Preußen meinen kleinen Verrat. Was wollen Sie noch, Tallhover! Sie ewiger Kriminalkommissar. Verduften Sie endlich. Wir sitzen hier nicht auf dem Verhörsofa. Sie Wiederkäuer! Weg! Auf Distanz, bitte! Das ist mein Tiergarten. Hier stand schon immer meine Lieblingsbank. Die Rousseau-Insel ist meine, einzig meine Augenweide. Und mein Haubentaucher ist das!« Linkshändig machte Fonty scheuchende Gesten, wie von Fliegen belästigt. Mit rechter Hand hatte er den Spazierstock gefaßt, mit festem Griff, daß er zitterte. Ein zorniger Greis, der in die Luft hieb. Türkenfamilien gingen in ihrer Ordnung

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