Ein weites Land – Miteinander (Geschichten aus der Ferne) (German Edition)
lauschte er nach einer Antwort. Doch entweder kam sie nicht, oder sie war so leise, dass er sie nicht hören konnte. „Ja, ich höre dich“, murmelte er vor sich hin. Da erklang das Heulen erneut und dieses Mal gab es eine Antwort. Sie war zwar leise, aber eindeutig zu hören. „Immerhin ist einer von uns nicht alleine.“ Er trat vom Fenster zurück, ging zum Bett, legte sich hin und zog die Bettdecke über sich. Die Zimmerdecke sah genauso aus wie vorher. Daher drehte sich Wally auf die Seite und klopfte sich sein Kissen zurecht, in der Hoffnung, es sich bequem zu machen.
„Scheiß drauf.“ Er machte sich hier nur selber unglücklich. Erneut warf er die Bettdecke von sich, stand auf und ging zur Tür. Er trat in den Flur und machte sich auf den Weg zu Dakotas Tür. Langsam drehte er den Türknauf, öffnete die Tür und spähte ins Zimmer, aber er konnte nichts erkennen. „Kota“, flüsterte er. Es kam keine Antwort und er hörte auch nichts. Er öffnete die Tür ein Stückchen weiter und sah in dem gedämpften Licht nur das leere Bett. Wally schloss die Tür wieder und ging zurück in sein Zimmer. Für den Fall, dass Dakotas Vater etwas brauchte, ließ er seine Tür einen Spalt auf. Er ging zurück ins Bett, wobei er sich selbst einen unentschlossenen Feigling schimpfte. Was hatte er denn von Dakota erwartet, dass dieser ihm nach nur einer Woche unsterbliche Liebe schwor? Seine innere Stimme antwortete leise: „Das gilt auch umgekehrt, weißt du?“ Das alte Sprichwort, dass ein Feigling tausend Tode stirbt, erwies sich als wahr. „Scheiße, ich bin ja so eine Memme.“ Er rollte sich auf die Seite, die Augen auf die Tür gerichtet, so dass er Dakota sehen würde, wenn dieser zurückkam und bewachte den Flur.
Das Bett senkte sich, Arme umfassten ihn, warme Haut presste sich an seinen Rücken. Wenn das ein Traum war, wollte er nicht aufwachen. Wally erlaubte sich ein Seufzen und wollte diesen Traum unbedingt weiter träumen, während er sich enger an die Wärme drängte.
Morgendliche Geräusche, die von draußen durch das Fenster drangen, rissen ihn aus dem Schlaf. Er tastete hinter sich, doch seine Hand fand nur das Bettlaken. Also war es nur ein Traum. Wally drehte sich um. Das Bettzeug war zerwühlt und er glaubte im Kissen eine Kuhle zu erkennen, war sich aber nicht ganz sicher. Egal, auch wenn es kein Traum gewesen war, jedenfalls war Dakota jetzt nicht hier. Er stand auf, wusch sich, zog sich an und ging dann in die Küche.
Dort schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein. „Gehen wir jetzt heute zum Grand Teton?“
„Ja. Wir sind gerade fertig zur Abfahrt“, antwortete Mario, als sich Wally umsah. „Dakota sagte, er hätte heute etwas Dringendes zu erledigen. Er hat mich gebeten, euch hinzubringen.“
Plötzlich schmeckte der Kaffee in seiner Tasse wie Batteriesäure. Er hatte gehofft, dass sich für ihn auf der Fahrt eine Gelegenheit ergeben würde, mit Dakota zu reden, ihm zu sagen, was er für ihn empfand. Zumindest vorläufig hätte er sich darüber keine Gedanken machen müssen. Dakotas Abwesenheit sagte ihm eine Menge. Wally bereute es, sich zurückgezogen zu haben, aber vielleicht war es wirklich am Besten so. „Ich hole meine Sachen. In ein paar Minuten bin ich startklar.“ Er schüttete seine Tasse aus, stellte sie in das Spülbecken und ging in sein Zimmer, um seine Jacke zu holen. Dann kam er ins Wohnzimmer zurück und folgte Phillip hinaus zum Auto.
Die Fahrt dauerte nicht so lange wie bis zum Yellowstone, aber sie kam ihm trotzdem wie eine Ewigkeit vor, da er alleine auf dem Rücksitz saß. Mario und Phillip plauderten angeregt miteinander und bezogen ihn auch immer wieder ins Gespräch mit ein. Obwohl er es versuchte, war er nicht mit dem Herzen bei der Sache. Am Parkeingang warteten sie in der Schlange und bezahlten ihren Eintritt, bevor sie zu einem der Parkplätze weiterfuhren.
Die Landschaft war atemberaubend, mit zerklüfteten Gipfeln, die das Flusstal überragten. Am Besucherzentrum sah sich Wally mit Mario und Phillip zusammen eine Videopräsentation an, die den Park und seine Geschichte erklärte. Gletscher, atemberaubende Berggipfel und Felder von Blumen in den Tälern, all das faszinierte ihn. Nach der Einführung gingen sie zurück zu ihrem Wagen und fuhren tiefer in den Park hinein. Sie bogen um die Ecke entlang der gewundenen Parkstraße und erreichten ein Tal. Mario hielt den Wagen an, während Wally das Fenster herunter kurbelte, den Kopf herausstreckte und die
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