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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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Veranda stand. Sie lehnte an einem Pfosten und rauchte eine Zigarette. Diesmal trug sie eines ihrer Filmstar-Kleider und dazu scharlachroten Lippenstift, so rot, dass man es sogar von der Straße aus sah. Sie lächelte nicht und schaute nicht einmal in ihre Richtung; sie stand einfach nur da und wartete darauf, gesehen zu werden, wartete auf etwas, von dem sie vielleicht selbst nicht wusste, was es war.
    Nachdem ganze zwei Minuten vergangen waren, fuhren sie weiter. Charlie zerlegte das Fleisch, während Sam und Jackie Robinson ihm von außerhalb des Schlachthauses dabei zusahen. Ihre Umrisse zeichneten sich in der klaren Herbstluft deutlich ab, hinter ihnen die Bäume, goldbraun wie Honig und Bernstein und Kupfer, und selbst die Berge, die im Sommer so blau wirkten, waren in Orange entflammt.
    Dann luden sie ein. Charlies Kleidung war blutverschmiert, doch er schrubbte seine Hände blitzsauber, wie er es immer tat, bis sie so weich und rein waren wie die einer Frau.
    Auf dem Weg nach Hause, als sie am Haus der Glass’ vorbeikamen, stand das Tor offen. Sie war immer noch da, oder
wieder, und trug ein weiches, rosenfarbenes Kleid, das im goldenen Spätmittagslicht schimmerte. Charlie hielt an.
    »Warum halten wir?«
    »Sei einfach mal still, Sam. Nur für eine Minute, bitte.«
    Er ließ den Pick-up ganze fünf Minuten im Leerlauf und schaute sie so lange an, bis sie sich endlich zu ihm drehte und seinen Blick erwiderte. Dann fuhr er durch das offene Tor hinein, hielt an und stieg aus, um das Tor hinter ihnen zuzumachen. Sylvan kam aus der Küchentür, stand einfach nur da und schaute ihn an, ohne etwas zu sagen, ohne zu winken oder ihn sonst irgendwie zu begrüßen, als gehörten er und sie einfach genau dorthin, wo sie waren, in diesem Moment, wo es Abend wurde und der herannahende Herbst die Luft so knackig und frisch machte, dass sie förmlich nach Wärme und Behaglichkeit schrie.
    Er wandte sich dem Jungen zu. »Warte hier, Sam, okay? Steig nicht aus. Spiel einfach mit Jackie und warte. Ich geh jetzt ins Haus und rede eine Weile mit Mrs. Glass. Es dauert nicht lang.« Er zog ein Päckchen Wint-O-Green-Life Savers aus der Tasche und gab es Sam, weil er wusste, dass seine Eltern ihm diese scharfen Pfefferminzbonbons nicht erlaubten.
    »Wenn du richtig fest draufbeißt, gibt es einen Funken in deinem Mund. Aber mach dir nicht die Zähne kaputt. Deine Mutter bringt mich um.« Er stieg aus und ging zur Tür, wobei er wieder und wieder ganz leise ihren Namen sagte, Sylvan, Sylvan, bis zum Haus, wo sie stand und wartete, ohne sich zu rühren. Sie redeten ein paar Minuten lang, nicht mehr als zwei oder drei. Charlie legte ein Mal ganz sanft die Hand an ihre Wange, so wie Sams Mutter es manchmal tat, wenn der Junge sein Abendgebet sprach. Sam sah, wie sich ihre Lippen bewegten, obwohl er nicht hören konnte, was
gesagt wurde, weil die Fenster zum Schutz gegen die abendliche Kühle hochgekurbelt waren.
    Dann gingen sie ins Haus. Es brannte kein Licht, und Sam sah nur ihre Umrisse in dem schräg einfallenden Licht. Sie hatten kaum gesprochen, schienen jedoch zu einer Übereinkunft, einer Entscheidung gelangt zu sein.
    Als Charlie wieder herauskam und sich in den Pick-up setzte, war das Licht nicht mehr golden, sondern silberfarben. Er sagte kein Wort, schaute den Jungen auf dem Beifahrersitz nicht einmal an. Er fuhr die Auffahrt entlang, öffnete und schloss das Tor, fuhr holpernd über das Viehgitter und machte sich gemächlich auf den Rückweg nach Brownsburg.
    Am Rande der Stadt hielt er an und starrte ein paar Minuten lang auf die Straße, sah sich die Lichter der vertrauten Häuser an, dachte an die Menschen, die darin lebten und sich vermutlich gerade an den Abendbrottisch setzten. Brownsburg machte sich bereit für die Nacht. Schließlich wandte er sich an Sam.
    »Und, hat’s Funken gegeben?«
    »Hab keine gesehen.«
    »Gib mir eins.« Er legte sich das Life Saver sorgfältig zwischen die Zähne. »Schau mal.«
    Er biss schnell zu, und ein winziger Funke prallte an seiner Wange ab. »Und jetzt du.«
    Sam steckte das letzte Bonbon zwischen seine Zähne, genau so, wie Charlie es getan hatte, und spürte, ohne es zu sehen, den winzigen Funken, als er zubiss. Charlie lächelte. »Siehst du? Ein Trick.« Dann starrte er erneut eine Weile auf die Straße, und als er dann wieder sprach, klang seine Stimme ganz anders, viel ernster. Er redete mit Sam zum allerersten Mal wie mit einem Erwachsenen, den er nicht besonders gut

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