Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
Vom Netzwerk:
noch stand, sonst wäre garantiert jemand auf die Gleise gefallen.
    Allerdings nicht ich, denn ich hielt noch immer einen Arm des miesen kleinen Bastards umklammert. Das habe nämlich ich im Training gelernt. Ich zerrte mit aller Kraft daran in der Hoffnung, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen und zugleich selbst auf die Füße zu kommen. Aber er grub seine Finger in den Boden und krümmte sie.
    Im Zement erschien am Rand des Kraters ein fingerbreiter Riss und breitete sich mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit über den ganzen Bahnsteig bis zur nächsten Wand aus. Mit einem Geräusch wie von splitternden Zähnen zerbrachen die Fliesen an der Wand, und dann schwankte der Boden und neigte sich zur Seite, als hätte ein Riese mit dem Fuß darauf gestampft. Der Zement klaffte weit auf, und mein Magen machte einen Hüpfer, als das Stück Boden, auf dem ich lag, einen guten Meter tiefer sackte. Und ich mit. Unter dem Bahnsteig öffnete sich eine finstere Leere, und ich hatte gerade noch Zeit zu denken: Scheiße, ein Erdbändiger! – bevor ich in die Schwärze fiel.
    Einen langen Augenblick dachte ich, ich wäre noch bewusstlos, aber ein Streifen aus Schmerz, der meinen ganzen Schenkel entlanglief, belehrte mich eines Besseren. Kaum hatte ich diesen Schmerz bemerkt, meldeten sich auch schon all seine Kumpels einschließlich eines besonders besorgniserregenden Pochens am Hinterkopf zu Wort. Ich wollte den Arm heben, um die Stelle zu betasten, musste aber feststellen, dass meine Bewegungsfreiheit stark eingeschränktoder vielmehr nicht mehr vorhanden war. Und da wurde mir so richtig klaustrophobisch zumute.
    Ich rief nicht um Hilfe, weil ich ziemlich sicher war, dass ich, wenn ich erst einmal anfing zu schreien, so bald nicht wieder aufhören würde.
    Die Erde hatte sich aufgetan, und ich war hineingefallen. Aber vielleicht war der Schutthaufen über mir nicht allzu dick. Vielleicht war es sogar möglich, mich selbst wieder auszugraben oder mir wenigstens etwas mehr Spielraum zu verschaffen.
    Also rief ich doch um Hilfe. Wie ich vermutet hatte, wurde es zu einem wilden Schreien – bis mir Dreck in den Mund fiel und ich ihn ausspucken musste. Seltsamerweise beruhigte mich das.
    Ich lauschte eine Weile in der Hoffnung, dass mein Gebrüll von jemandem bemerkt worden wäre. Dabei bemühte ich mich, ruhig zu atmen, und dachte darüber nach, was ich übers Lebendigbegrabensein wusste und was davon vielleicht hilfreich sein könnte.
    Wild um sich zu schlagen ist nicht besonders hilfreich, hyperventilieren möchte man bitte auch nicht, und es besteht das Risiko, dass man im Dunkeln die Orientierung verliert. Es gibt Fälle, wo Verschüttete glaubten, sich nach oben zu buddeln, und sich dabei immer weiter in die Tiefe wühlten. Ein aufbauender Gedanke.
    Allerdings besaß ich dem Durchschnittsverschütteten gegenüber einen großen Vorteil – ich konnte zaubern.
    Ich erschuf mir ein kleines Werlicht, ließ es über meinem Bauch schweben und verschaffte mir so einen Überblick. Nun da ich wieder eine optische Referenz hatte, informierte mich mein Innenohr, dass ich ungefähr im 45-Grad-Winkelmit den Füßen nach unten lag – ich zeigte also wenigstens in die richtige Richtung.
    Fünf Zentimeter vor meinem Gesicht war eine Betonwand, auf deren Oberfläche noch genau die Maserung der Holzverschalung zu erkennen war, in der sie gegossen worden war. Nach unten verringerte sich ihr Abstand zu mir, wobei an meinen Knien die engste Stelle war. Ich bewegte vorsichtig die Füße – dort war wieder mehr Raum.
    Links engte mich eine Wand aus gepresster Erde ein, und rechts lag ein weiterer Hohlraum, von dem mich ein Gitter aus Stahlbeton trennte – einen halben Meter näher, und es hätte mich glatt in zwei Hälften geschnitten. Dann hätte man mich konservieren, in einen Glasbehälter stecken und in der Tate Modern ausstellen können. So schade es für die britische Kunst sein mochte, dass es so weit nicht gekommen war, ich persönlich sah es doch eher als Gewinn, aber es bedeutete, dass ich nach dieser Seite hin auch nicht mehr Platz hatte. Soweit ich es überblickte, lag ich in einer Art Betonzelt ohne erkennbaren Ausgang.
    Ich ließ das Werlicht erlöschen – obwohl Werlichter auch unter Wasser brennen, wusste ich nicht, ob sie in irgendeiner Form Sauerstoff verbrauchten, und beschloss, dass Vorsicht die Mutter der Betonkiste war. In der wiederhergestellten Finsternis ging ich meine Möglichkeiten durch. Ich konnte versuchen, mich

Weitere Kostenlose Bücher