Ein zahnharter Auftrag
sie sagten lieber nichts.
Der Geist blickte die Zwillinge mit wässrigen Augen an. Er rieb das rechte Ohr an der Schulter und sagte leise mit schräg gelegtem Kopf: »Kann ich euch wenigstens vom Friedhof jagen, wie es sich für einen ordentlichen Geist gehört?«
Daka richtete den Kopf wieder auf und atmete aus. Dann stülpte sie die Lippen nach außen und zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.«
»Wenn's sein muss«, sagte Silvania.
Osmund Mortus Daemon blieb unentschlossen vor den Zwillingen stehen. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst und sah zu Boden.
Daka schielte fragend zu ihrer Schwester. Silvania zuckte die Schultern.
»Jagen Sie uns schon?«, fragte Daka.
Der Geist blickte auf. »Ich habe eine Bitte. Erzählt niemandem, dass die Mittel des größten Vampirjägers aller Zeiten veraltet sind. Erzählt niemandem, wie ich mich blamiert habe. Lasst Osmund Mortus in Ehre tot sein!« Der Geist verschränkte die Hände und sah die Mädchen eindringlich an. Eine Träne lief aus dem rechten Auge über eine Warze, über die Narbe bis zum grauen Bart, wo sie eine kleine Kellerassel ertränkte.
»Und Sie tun aber auch nur so, als würden Sie uns jagen, und lassen uns ohne Probleme vom Friedhof«, stellte Silvania noch einmal klar.
»Ich schwöre es bei der Ehre des größten Vampirjägers aller Zeiten.« Osmund Mortus Daemon hob feierlich die Hand mit den vier Fingern. »Aller vergangener Zeiten«, fügte er leise hinzu.
»Okay. Abgemacht«, sagte Daka. Einen Moment wollte sie dem Geist die Hand reichen, entschied sich dann aber aus gesundheitlichen Gründen dagegen.
Osmund Mortus Daemon nickte den Zwillingen zu. Dann atmete er lautstark ein. Es hörte sich an, als braue sich ein Gewitter zusammen. Der Geist baute sich vor den Schwestern auf. Er stemmte die Hände in die Hüften, blähte die Backen auf und stampfte mit den Füßen.
Die Zwillinge sahen den Geist erwartungsvoll an.
Osmund Mortus Daemon ließ die Luft aus den Backen und blickte verzweifelt auf die Schwestern hinab. »Na los! Ihr müsst wegrennen.«
»Ach so«, sagte Daka.
»Alles klar«, sagte Silvania.
Die Schwestern rannten los. Sie liefen auf dem kleinen Nebenpfad zum großen Kiesweg, der direkt zum eisernen Friedhofstor führte. Osmund Mortus Daemon rannte hinter ihnen her. Er machte »Huhu« und »Huihui« und manchmal auch »Buhu«. Er gab sich wirklich große Mühe.
Beinahe hätte Daka sogar grinsen müssen. Doch kurz bevor sie das Friedhofstor erreichten, gefroren ihre Gesichtszüge vor Schreck. Mitten im Tor standen vier Gestalten. Sie hatten hautenge schwarze Anzüge an, trugen seltsame große Brillen und hatten Schläuche im Mund.
Silvania schrie auf.
Die Gestalten schrien ebenfalls. Sie rissen die Arme in die Höhe und stürmten auf die Zwillinge zu.
Blitzschnell änderten Daka und Silvania die Richtung. Wer nachts vermummt auf dem Friedhof des Grauens herumwandelte, konnte nichts Gutes im Sinn haben. Die Zwillinge mussten den vier Gestalten entkommen.
Retter im
Anzug
L udo, Helene, Vlad und Mihai hatten gerade in ihren Taucheranzügen den Friedhof betreten, als Silvania und Daka auf das Friedhofstor zustürmten. In letzter Sekunde änderten sie schlagartig die Richtung. Statt durch das Tor in die Freiheit zu laufen, rannten sie nach rechts auf einen Friedhofsweg. Warum taten sie das? Für Ludo, Helene, Vlad und Mihai stand fest: Etwas Grausames, Furchterregendes musste hinter ihnen her sein. Es hatte Silvania und Daka so viel Angst eingeflößt, dass sie nicht mehr wussten, wo sie waren und wohin sie liefen.
Und da kam er auch schon mit Brausen und Donnern um die Ecke, grausam und furchterregend: Osmund Mortus Daemon. Er stürmte wie besessen hinter den Zwillingen her. Seine langen grauen Haare stoben nach hinten. Würmer baumelten und kringelten sich an den Haarspitzen. Seine Augen waren blau, sein Blick eiskalt. Er hatte die langen, dünnen Arme nach den Zwillingen ausgestreckt. Er schrie markerschütternd »Huhu«, »Huihui" und »Buhu".
Für Helene war es der gruseligste Geist, den sie jemals gesehen hatte. Und ihr erster.
Für Ludo war es auch der gruseligste Geist, den er jemals gesehen hatte. Und er hatte schon einige gesehen.
Mihai und Vlad spürten beim Anblick von Osmund Mortus Daemon ein schmerzhaftes Ziehen in den Wurzeln ihrer Eckzähne. Wenn sie, zwei erwachsene Vampire aus einer der ältesten Vampirfamilien der Welt, schon vor dem Geist schauderten, wie ging es dann Daka und Silvania? Sicher
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