Eindeutig Liebe - Roman
umarmten einander vor irgendwelchen Wänden und unter Straßenschildern, lachende Kinder rannten zwischen Pollern und Mülltonnen hindurch, einsame Passanten blickten durch funkelnde Glasscheiben in Schaufenster mit unglaublichen Torten und handgefertigter Kleidung und lächelten über die Schönheit von alldem.
Heute war wirklich ein besonderer Tag, und er bekräftigte meine Liebe zu London nur noch mehr. In letzter Zeit war ich so sehr in Nick verknallt gewesen, dass meine Gedanken sich ausschließlich um ihn gedreht hatten. Wir hatten so viel Zeit zusammen verbracht, dass ich es nun genoss, mal wieder für mich allein zu sein. Ich wollte meine Umgebung erkunden, unabhängiger sein. London war die einzige Stadt, in der man solchen Exzentrikern begegnen konnte wie ich an diesem Nachmittag.
Als ich zu Hause ankam, nahm ich meine Neuerwerbungen aus den goldenen Tüten und wickelte vorsichtig das Seidenpapier auf. Im Billigladen an der Ecke gab sich niemand solche Mühe.
Als ich das letzte Bündel aus der Tragetasche nahm, hatte ich das Gefühl, dass es schwerer war als die anderen. Merkwürdig … ich riss das Papier ab und sah etwas grün aufblitzen. Aus dem Loch ergoss sich eine Flut aus Seide.
O Gott, es war das Kleid.
Ich hielt es hoch, sodass der Rock herabfiel und über den Boden raschelte.
»Toll, Sienna. Das Kleid ist wirklich absolut unglaublich«, hörte ich die Stimme meines Vaters. Er stand hinter mir in der Tür und hielt sich mit weiß hervortretenden Fingerknöcheln am Rahmen fest. »Wofür ist das? Gehst du auf eine Hochzeit?«, fragte er. Die Verwunderung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Nein, Dad. Ich habe es nicht mal gekauft. Ich weiß gar nicht, was ich damit tun soll. Eine Frau, die ich gar nicht kenne, hat es mir heute geschenkt; sie wollte unbedingt, dass ich es nehme«, seufzte ich und setzte mich auf mein Bett. Entzücken und ein schlechtes Gewissen machten sich gleichzeitig in mir breit.
»Du wirst darin einfach unglaublich aussehen, Si.« Eine Weile stand er nur da, und es sah aus, als sei er richtig stolz auf mich. Warum, weiß ich nicht. Ich hatte nichts Tolles getan.
Unsicher, was ich mit dem Kleid anfangen sollte, schob ich einen samtbezogenen Bügel durch die Träger und hängte es an den Türgriff meines Kleiderschranks. Dad und ich standen da und betrachteten das Kleid, als wäre es ein Gemälde im Louvre.
War ich die Sorte Frau, die einem Kleid dieses Kalibers gerecht werden konnte? Ich hatte wirklich nicht den Eindruck, aber jetzt fühlte ich mich verpflichtet, es wenigstens zu versuchen. Doch das Kleid war an mich einfach verschwendet. Es war, als ob die Erinnerungen dieser Frau an ihre Jugend jetzt in meinem Zimmer hingen und sich danach sehnten, mithilfe einer unglaublichen Liebesgeschichte wiedererweckt zu werden. Was das Ganze noch schlimmer machte, war, dass ich mir nicht mal mehr sicher war, ob ich wirklich noch an die Liebe glaubte …
Das Kleid war mir den ganzen Tag über nicht aus dem Kopf gegangen. In den letzten Stunden hatte ich den Gedanken daran abschütteln können, aber jetzt, als ich in meine Sporttasche sah, fiel mir sofort wieder das wunderschöne Überraschungsgeschenk ein, das ich von einer Exballerina bekommen hatte, von der ich nicht einmal den Namen wusste. Von einer Tänzerin, die den Menschen den Atem geraubt hatte, wenn sie über die Bühnen der Welt wirbelte. Ich war kurz davor, es wieder in das Geschäft zurückzubringen.
Heute habe ich ein Mädchen kennengelernt, das solch ein Kleid tragen könnte, und das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Sie heißt Chloe, und sie ist wirklich wunderschön.
Sie ist Praktikantin in der Redaktion und bleibt nur eine Woche bei uns, hat eine wirre blonde Mähne und ein richtig hübsches Gesicht. Es macht den Eindruck, als sei sie ein unartiges, durchtriebenes Mädchen, aber gleichzeitig hat sie auch etwas Engelhaftes.
Sie ist der Typ, der sogar die selbstbewussteste Frau dazu bringt, in den Spiegel zu schauen und neue Makel an sich zu entdecken. Deshalb war es keine Überraschung, dass ich mir plötzlich so unzulänglich vorkam.
Gott sei Dank ist sie nur für eine Woche bei uns, dachte ich.
Wenn man so schön ist, sortieren die Menschen einen schon in eine Schublade, bevor sie einen richtig kennenlernen. Ich wusste zwar nicht, wie sie Ant die Praktikumsstelle aus dem Kreuz geleiert hatte – denn normalerweise war er so flexibel wie ein Holzlineal mit Stahlkante –, aber ich nahm an,
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