Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Art von Zorn

Eine Art von Zorn

Titel: Eine Art von Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
erledigt. Er ist zu sehr Geschäftsmann und Vermittler.«
    »Nun gut, dann …«
    »Vielleicht irre ich mich. Möglicherweise hat er andere Vorstellungen von Vernunft als ich.« Ich versuchte, den Revolver in meine Hüfttasche zu stecken. Er war aber zu groß dafür.
    Sie lachte. Ich lachte auch, obwohl mir gar nicht nach Lachen zumute war. Dann ging sie zu ihrem Mantel, zog aus der Tasche ein großes Kuvert heraus, das einmal gefaltet war, und gab es mir. »Das wird ihn zur Vernunft bringen«, sagte sie.
    Ich legte die Waffe beiseite und öffnete das Kuvert. Es enthielt zwei Aktenumschläge von gleicher Größe, auf denen außen drei identische Zeilen in arabischer Schrift standen. Jeder Aktenumschlag enthielt einige Blatt Papier. Die Blätter waren mit grüner Tinte beschrieben, in einer sehr kleinen, sehr ordentlichen Schrift. In den Ecken standen zwei Zahlen, mit Bleistift geschrieben. Sie waren das einzige, was ich lesen konnte. Ich fragte Lucia, was sie bedeuteten.
    »Diese Zahlen verweisen auf die Aufzeichnungen und die Abschnitte, denen die Seiten entnommen sind«, sagte sie.
    »Wissen Sie, was drin steht?«
    »Nein. Aber Skurleti kann es lesen, und es wird ihm zusagen. Ahmed hat die besonders interessanten Stellen ausgewählt. Das sind die beiden Muster, von denen ich gesprochen habe.«
    »Gut.« Ich legte den einen Aktenumschlag in die Schublade und steckte den andern wieder in das Kuvert.
    Sie trank langsam aus ihrem Glas und beobachtete mich.
    Obgleich ich den Revolver weggelegt hatte, war ich mir seiner Anwesenheit sehr wohl bewußt. Er war sehr gut gereinigt worden, bevor man ihn in das Tuch gewickelt hatte, und das Waffenöl hatte einen stechenden, scharfen Geruch, beinahe wie ein Desinfektionsmittel. Meine rechte Hand roch auch danach. Ich hob den Revolver wieder auf und steckte ihn in die Seitentasche meiner Regenhaut. Das Kuvert tat ich in die andere Tasche. Dann ging ich hinaus und wusch mir die Hände.
    Als ich wieder herunterkam, stand Lucia in der Küche und rührte in einem Suppentopf.
    Sie sagte: »Mein Vater hat mir erzählt, daß manche Leute im Krieg sehr viel aßen, wenn sie nervös waren oder sich fürchteten, und daß andere wieder sehr wenig aßen. Ich bin der Nicht-sehr-hungrige-Typ. Außer einem Teller Suppe werde ich nichts essen. Wie stehts mit Ihnen?«
    »Ich nehme auch einen Teller Suppe.«
    Sie blickte mich bedeutsam an. »Er hat auch gesagt, daß man die, die bei Gefahr als erste davonlaufen, immer erkennen kann. Die bringen nämlich keinen Bissen hinunter.«
IV
    Um neun Uhr fuhr ich weg. Ich hatte nur wenige Minuten zum Relais Fleuri zu fahren, aber ich wollte um einiges vor der festgesetzten Zeit dort sein, für den Fall, daß Skurleti früher kam.
    Lucia hatte mir erklärt, wo ich den Wagen stehenlassen sollte; hinter der Tankstelle für Dieselöl war ein Platz, der vom Parkplatz des Relais aus nicht gesehen werden konnte. Dort hatte sie ihren Wagen am Abend des Interviews geparkt.
    Der Mond war bloß eine schmale Sichel, aber er warf starke Schatten. Ich fühlte mich nicht unsicher, aber ich fühlte mich einsam. Aus dem Innern des Relais hörte ich Stimmen, Lachen und Husten. Das Haus wirkte vertraut und freundlich, und ich wünschte, hin­eingehen zu können und bei der liebenswürdigen Kellnerin, die mich fünf Tage zuvor bedient hatte, einen Kaffee zu bestellen. Es herrschte mehr Betrieb als an jenem Abend, wohl weil es Anfang der Woche war. Drei riesige Lastwagen mit Anhängern standen auf dem Parkplatz. Der eine, den ich genau sehen konnte, hatte auf beiden Seiten in Großbuchstaben das Wort RHONE gemalt. Die andern trugen keine Beschriftung. Sie glänzten anonym – rostfreier Stahl oder Aluminium. Ich dachte über sie nach. Vielleicht waren es trojanische Pferde – voll von Männern, die im Augenblick, wo ich mein Gesicht zeigte, aus den hinteren Türen herausstürzen würden.
    Um neun Uhr zwanzig kamen vier Männer aus dem Relais, riefen einander über die Schulter hinweg gute Nacht zu und kletterten in die Führerkabinen der beiden Lastwagen. Die Dieselmotoren heulten auf, die Vakuumbremsen zischten, und die trojanischen Pferde wurden weggetrieben.
    Vier Minuten später bog ein Essotankwagen ein. Das beunruhigte mich ein wenig. Ich glaube nicht, daß die Ölgesellschaften nachts die Kessel der Tankstellen nachfüllen; aber ich wußte es nicht sicher. Sobald die Lampen bei der Tankstelle eingeschaltet würden, müßte ich mich schnellstens davonmachen. Erst nachdem

Weitere Kostenlose Bücher