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Eine Art zu leben: Über die Vielfalt menschlicher Würde (German Edition)

Eine Art zu leben: Über die Vielfalt menschlicher Würde (German Edition)

Titel: Eine Art zu leben: Über die Vielfalt menschlicher Würde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bieri
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Gleichberechtigung zu tun: damit, daß wir dieselben Rechte haben wie alle anderen und in wichtigen Hinsichten nicht anders behandelt werden als sie. Wenn man uns Rechte streitig macht und vorenthält, die für andere gelten, ist das nicht nur auf vage Weise ärgerlich. Wir fühlen uns in unserer Würde verletzt und empfinden einen Groll, wie wir ihn nur in solchen Fällen kennen. So ist es in Regimen der Apartheid: wenn jemand als Angehöriger einer Rasse oder eines Stamms nicht wählen, nicht jede Schule besuchen, in jedem Bus fahren oder jedes Lokal betreten darf. Und nicht anders ist es bei sonstigen Formen der Diskriminierung: wenn man bestimmte Dinge nicht darf, weil man eine Frau ist oder eine Person mit gleichgeschlechtlicher Orientierung. Oder wenn man für dieselbe Arbeit nicht denselben Lohn bekommt.
    Rechte, hatten wir früher gesagt, sind ein Bollwerk gegen Abhängigkeit durch Willkür. In diesem Sinne tragen sie zu unserer Selbständigkeit und Würde bei. Rechte sind ein Schutzwall gegen Ohnmacht: Sie geben mir Macht, mich zu behaupten. Deshalb sind sie auch ein Schutzwall gegen Demütigung. Sie engen den Spielraum derer ein, die mir meine Ohnmacht demonstrieren und sie genießen möchten. Wenn einer erleben muß, daß die Rechte für ihn nicht gelten, weil die anderen ihn nicht als Rechtssubjekt anerkennen, erlebt er seine Ohnmacht mit besonderer Wucht. Selbst wenn er die Dinge, auf die er kein Recht hat, gar nicht tun möchte: Das Bewußtsein der Diskriminierung bedeutet eine Bedrohung der Würde.
    Und die Empfindlichkeit gegenüber ungleicher Behandlung ist nicht auf formale Rechte beschränkt. Sie besteht in allen Zusammenhängen, in denen es auf Gerechtigkeit im Sinne gerechter Behandlung ankommt. Ob es um die symmetrische Verteilung von Gütern oder Chancen geht oder darum, das zu bekommen, was einem kraft einer Leistung zusteht: Es steht unsere Würde auf dem Spiel, wenn es nicht unparteiisch und mit rechten Dingen zugeht. Die Wut derer, die gegen Ungerechtigkeit auf die Barrikaden gehen, ist nicht einfach die Wut von Enttäuschten und Frustrierten. Es ist die Wut von Leuten, die etwas vom wichtigsten an ihrem Leben in Gefahr sehen: ihre Würde im Sinne unparteiischer Anerkennung.

Zur Schau stellen
     
    Wenn ich, wie beim Zwergenwerfen, einen Menschen packe und wegwerfe oder seinen Leib als schützenden Körper, als widerständiges Stück Materie aufstelle, dann gibt es zwischen ihm und mir überhaupt keine Begegnung. Um einem Menschen zu begegnen – in dieser gewichtigen Lesart des Worts –, müssen wir ihm als einem Subjekt gegenübertreten: als einem Wesen, das im selben Sinne wie wir eine eigene Perspektive auf die Welt hat und deshalb, wie wir auch, als Zweck in sich selbst betrachtet werden möchte. Eine solche Begegnung ist gekennzeichnet durch Symmetrie und Gegenseitigkeit: Wir sehen und anerkennen uns gegenseitig als Subjekte. Das ist es, was beim Zwergenwurf und jeder anderen Behandlung fehlt, die einen Menschen zum bloßen Spielzeug oder überhaupt zu einem bloßen Mittel macht. Es ist das, was die Richter einklagten, als sie dieses Art von Schaustellung verboten: Sie sahen es als ihre Aufgabe an, eine Lebensform der Würde zu schützen, in der Menschen sich als Subjekte begegnen und einander nicht zu Wurfgeschoßen oder überhaupt zu bloßen Dingen degradieren dürfen.
    Wenn Zwerge auf dem Jahrmarkt zum Vergnügen geworfen werden, stellt man sie zur Schau. In diesem Sinne zur Schau gestellt zu werden, ist etwas anderes als das Auftreten vor Publikum. Wenn ein Schauspieler oder Artist vor einem Publikum auftritt, wird er von den Leuten auch angeschaut. Doch anders als beim Zwerg gerät seine Würde dadurch nicht in Gefahr. Warum?
    Es hat mit mehreren Dingen zu tun. Das eine ist, daß der Schauspieler oder Artist etwas tut , während man mit dem Zwerg nur etwas macht . Ein Artist zeigt sich , der Zwerg wird gezeigt , und man könnte auch sagen: ausgestellt , wie in einem Schaufenster. Dazu gehört, daß sich Schauspieler und Artist nicht einfach nur zeigen, indem sie vor die Leute treten. Sie zeigen sich mit einer Leistung , in denen ihre Fähigkeiten zum Ausdruck kommen. Sie zeigen sich als handelnde, fähige Subjekte, die etwas können und dem Publikum etwas vorführen. Wenn der Blick der Leute auf sie fällt, dann ist es ein anerkennender, bewundernder Blick, auf den sie mit einer dankenden Geste antworten. Durch diese Verschränkung von Blicken und Gesten kommt eine Begegnung

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