Eine Art zu leben: Über die Vielfalt menschlicher Würde (German Edition)
wegsehen und die Leistung ignorieren, oder auch: geringschätzen, was getan wurde. »Die paar Jährchen, die du für uns gefahren bist …«, könnte Howard sagen.
Zur Kenntnis nehmen genügt nicht. Anerkennung ist nicht eine Einstellung, die bei mir allein bleibt. Es ist eine gezeigte Einstellung, eine, von der der andere erfahren soll. Man kann Anerkennung nicht nur dadurch verweigern, daß man die Augen verschließt, sondern auch dadurch, daß man tut, als ob man nichts gesehen hätte. »Na ja, es war wohl schon ziemlich anstrengend für ihn, all die Fahrerei in all den Jahren …«, könnte Howard nachher zu seiner Sekretärin sagen, die mitgehört hat. »Das hätten Sie ruhig auch ihm selbst sagen können«, würde die Sekretärin vielleicht sagen. Anerkennung ist nicht nur eine Einstellung, sondern eine manifestierte Einstellung, die den anderen erreicht .
Was mich erreichen muß, damit ich die Anerkennung spüre, ist nicht nur, daß meine Leistung zur Kenntnis genommen wurde. Was ich erfahren will, ist, daß die Leistung geschätzt wird. »Okay«, könnte Howard zu Loman sagen, »du bist viel gefahren, aber das macht ja auch Spaß, da müssen andere ganz anders malochen, also was soll’s.« Oder jemand sagt über ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr: »Warum, er macht’s aus Spaß an der Freud’; sein Privatvergnügen.« Anerkennung ist Wertschätzung. Ihr Feind ist Geringschätzung.
Doch auch gezeigte Wertschätzung reicht für volle Anerkennung noch nicht. Die Wertschätzung muß einen Unterschied im Verhalten machen: Man zahlt mir mehr Lohn – in Lohnverhandlungen geht es immer auch um Anerkennung; ich werde ausgezeichnet; es ändert sich etwas im Stil der Begegnung, in den Worten, der Gestik, dem ganzen Umgang. Entsprechend bei fehlender Anerkennung: Man sagt mir zwar Nettes, aber es ändert sich nichts, ich bleibe unten. »Du machst es ja ganz ordentlich mit deiner Fahrerei, das weiß ich«, könnte Howard sagen, »aber mehr Lohn ist nicht drin, und jetzt entschuldige, ich muß mich dem Tonbandgerät widmen, diesem Wunderwerk …«
Wenn die Anerkennung keinen Ausdruck im Tun findet, dann bewirkt sie auch nicht, was echte Anerkennung bewirkt: daß sich, weil man mir ein neues Verhalten entgegenbringt, die Begegnung insgesamt verändert, im äußeren Stil, aber auch in den Gefühlen. Denn das ist es, worauf es bei Anerkennung ankommt: daß Begegnungen durch sie reicher und tiefer werden. Das ist ihr Beitrag zur Würde.
»Du kannst die Zitrone nicht auspressen und dann die Schale wegwerfen – ein Mensch ist doch kein Abfall!« Das sind Lomans empörte Worte. Die Empörung gilt einer Form von Demütigung, wie wir sie bisher noch nicht besprochen haben: der Verweigerung von Anerkennung, die auch die Aufhebung früherer Anerkennung sein kann. In einer Demütigung erfahren wir uns als ohnmächtig. Die dabei erlebte Ohnmacht, sagten wir, ist die Unmöglichkeit, einen Wunsch zu erfüllen, der für unser Leben entscheidend ist. Das kann der Wunsch nach Anerkennung sein: Es kann lebensbestimmend sein, die Anerkennung eines Lehrers, eines Chefs oder eines Lebenspartners zu erringen; bleibt sie aus, kann das eine schwere innere Beschädigung bedeuten. Demütigung ist die Demonstration einer Ohnmacht, die ihr Urheber einen unmißverständlich als etwas spüren läßt, das er einem antut und dabei genießt. So ist es in dem bettelnden Gespräch, das Loman mit Howard führen muß. Howard verweigert eine wirkliche Begegnung, indem er Loman die Anerkennung verweigert und ihn, mit dem Tonband spielend, seine Ohnmacht spüren läßt. »Kostet nur hundertfünfzig. Muß man einfach haben.« Der Hohn macht die Demütigung komplett.
Es hätte noch schlimmer kommen können. Howard hätte, statt nur Achtung und Anerkennung zu verweigern, Verachtung zeigen können. Sie ist nicht nur fehlende Anerkennung und Achtung, die sich einfach nicht einstellen. Verachtung ist mehr: eine ausdrückliche Aberkennung von Achtung, ein betontes, unterstrichenes Verweigern der Anerkennung. Eine Demonstration fehlender Anerkennung. Vielleicht sagt Howard in Hörweite von Loman zu seiner Sekretärin: »Dieser wehleidige Knirps. Bringt schon seit Jahren nichts mehr. Höchste Zeit, ihn zu feuern.« Es wäre die vollständige Vernichtung seiner Würde – sofern sie von Howard abhängt.
Gleichberechtigung
Die Würde, die nicht von uns selbst abhängt, sondern davon, wie andere uns behandeln, hat viel mit der Erfahrung der
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