Eine bezaubernde Erbin
deine Frau kennst, meinst du wohl.“
Er wusste nicht, warum sie immer wieder auf seine Frau zu sprechen kam. „Ich kenne sicherlich ihren Tagesablauf so gut wie meinen eigenen, und ich kenne ihren Charakter. Aber Lady Fitzhugh ist mir ein Rätsel, ich weiß nie genau, was sie gerade denkt.“
„Und ich? Weißt du, was ich denke?“
Er erkannte die Mischung aus Trotz und Reue in ihrem Blick. Sie wusste, dass sie überreagiert hatte, war aber noch nicht bereit, ihren Fehler einzugestehen. Er lächelte erleichtert. „Ich denke, dass du, oder zumindest ein Teil von dir, lieber über etwas anderes sprechen würde.“
„Vielleicht, wenn du mir versichern könntest, dass sich deine Frau nicht irgendwie in dein Herz geschlichen hat.“
„Der bloße Gedanke ist albern. Wenn ich sie lieben würde, warum wäre ich dann hier bei dir?“
Sein Argument bestand die Probe offenbar. Sie lächelte ein wenig verlegen. „Wollen wir uns über unsere Flitterwochen unterhalten? Wohin wir fahren wollen, wenn deine sechs Monate vorbei sind?“
„Das wäre dann mitten im Winter.“
„Ja“, sagte Isabelle mit leuchtenden Augen. „Also sollten wir irgendwohin fahren, wo es warm ist. Das Wetter in Nizza wäre perfekt. Aber Nizza ist im Winter vollkommen überfüllt, und wir wollen nicht ständig irgendwem über den Weg laufen. Mallorca wäre auch zauberhaft oder Ibiza, ja sogar Casablanca.“
Ein Gefühl der Wehmut überkam ihn. Weihnachten in Henley Park war zu einer lieben Tradition geworden, gehörte Familie und Freunden. Er wollte die Festlichkeiten nicht abkürzen, nur um woanders hinzufahren – ein paar seiner schönsten Erinnerungen der letzten Jahre stammten von diesen Zusammenkünften. Und er konnte den Gedanken kaum ertragen, seine Frau so kurz nach Weihnachten zu verlassen.
Vielleicht war er auf seine Art so undurchschaubar geworden wie seine Frau. Isabelle plauderte fröhlich über die verschiedenen Möglichkeiten – offenkundig gab es etliche malerische Gegenden an Spaniens Mittelmeerküste – und bemerkte nicht einmal, dass seine Begeisterung hinter ihrer zurückblieb.
Aber das ist schon in Ordnung so, überlegte er. Er hatte es sich in seinem Leben zu bequem gemacht. Alle Gewohnheitstiere mussten hin und wieder aufgerüttelt werden, damit sie sich eben nicht zu sehr auf ihre Gewohnheiten versteiften. Er wünschte sich nur, Isabelle würde kein so großes Theater aus dem Anfang ihres gemeinsamen Lebens machen. Schließlich war es immer noch Ehebruch, den er beging, und es schien ihm, dass sie dabei stiller und diskreter vorgehen sollten.
Isabelle hingegen war nun mal Isabelle, überschwänglich und leidenschaftlich, voller übersprudelnder Lebenskraft. Und warum sollte er ihr ein paar Träume übel nehmen oder eine kurze Reise an einen Ort mit Palmen und einem warmen Ozean?
Wenn ihn nur der Gedanke daran, dass Millie den Januar allein verbrachte, nicht so bedrücken würde, als ob er die Tür zum Gewächshaus am kältesten Tag des Jahres offen ließe und bei seiner Rückkehr all die liebevoll gepflegten Pflanzen darinnen vor Grausamkeit und Vernachlässigung verwelkt vorfände.
Helena traute ihren Augen nicht: Andrew! Er stand auf dem Bahnsteig und wartete keine zwanzig Schritte von ihr entfernt
Rasch schickte sie ihre Zofe Susie los, um bei einem der Straßenhändler vor dem Bahnhof eine Zeitung und ein paar geröstete Nüsse zu kaufen. Als sie sicher war, dass Susie von der Menge verschluckt worden war, ging sie zu Andrew und tippte ihm auf die Schulter.
Die freudige Überraschung auf seinem Gesicht machte ihre lange Trennung beinahe – beinahe – wett.
„Helena.“ Seine ehrerbietig leise Stimme verlor sich fast im Lärm dieses Eisenbahnknotenpunktes.
Er war wie eine blassere Version von ihr selbst: Seine Haare waren rötlich, seine Augen haselnussbraun – es war eines ihrer ersten Gesprächsthemen gewesen, zwei Rotschöpfe umgeben von Geschwistern mit rabenschwarzem Haar in ihrem Fall und blonden Cousins und Cousinen in seinem. Er hatte Grübchen, war stets ein wenig zerzaust und hatte vom vielen Sitzen an einem Schreibtisch eine leicht gebeugte Haltung. Er war nur unwesentlich kleiner als sie, worüber er sich immer wieder gutgelaunt lustig machte.
Er war in allem, was er tat, gutgelaunt und ehrlich. In einer zynischen Welt war er die seltene Kreatur, intelligent und gleichzeitig gutherzig.
„Andrew.“ Sie sehnte sich danach, seine Hände zu ergreifen, wagte es in aller Öffentlichkeit
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