Eine Frage der Balance
Füßen. Ich kniete nieder und vertiefte die Linie mit dem Fingernagel von einem Ende zum anderen. Erst dann wagte ich es, Maree zu bewegen - oder was von ihr übrig war.
Sie atmete noch, flach und unregelmäßig, doch als ich sie herumdrehte, um den linken Arm unter ihre Schultern schieben zu können, stellte ich fest, daß ihr Körper sehr kalt war. Ich hoffte inbrünstig, es käme daher, daß sie in der Abendkühle auf dem Boden gelegen hatte. Bei Sonnenuntergang waren die Temperaturen stark zurückgegangen, Frost lag in der Luft. Und Maree, wie bei Entseelten üblich, sah aus, als hätte der Frost sie schon berührt. Ihr zottiges Haar, eigentlich ein undefinierbares Mittelbraun, war jetzt silbrig blond. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, ihre schwarze Lederjacke war zu einem hellen Grau verblaßt, und ihre einst blaue Jeans, das sah ich, als ich den anderen Arm unter ihre Knie schob, war fast weiß.
Es war nicht schwer, sie hochzuheben, sie wog genau noch halb so viel wie die vollständige Maree. Ich stand mühelos mit ihr auf und mußte zu meiner Betroffenheit feststellen, sie so auf den Armen zu halten, federleicht, schlaff und schneeköniginnenkalt, löste eine der intensivsten Empfindungen aus, die ich je verspürt hatte. Außerdem mußte ich gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen.
Bevor ich sie dort niederlegen konnte, wo die Beschwörung es erforderte, dröhnte Dakros’ Hover dicht über den Baumwipfeln am Hang, erfaßte mich mit seinen Scheinwerfern und landete mit Karacho auf der anderen Seite der Hecke. Ich hörte Rebstöcke krachen und splittern und fragte mich, wieviel er dem Eigentümer als Entschädigung würde zahlen müssen. Oder vielleicht gehörten die Weingärten ihm selbst. Das Licht seines Suchscheinwerfers sickerte durch die Hecke, warf ein Netz aus den Schatten kahler, verschlungener Zweige über mich und Nick und machte meine sorgfältig eingekerbte Linie unsichtbar.
»Gibt es noch ein Problem, Magid?« dröhnte Dakros’ Stimme durch den Verstärker.
Ach, laß mich in Ruhe! dachte ich. Auch ohne Stans beschwörendes »Sag’s ihm nicht!« aus dem Auto hätte ich ihn nicht eingeweiht.
»Ja, aber es sind Probleme im Zusammenhang mit meiner eigenen Welt!« rief ich zurück. »Ich habe soweit alles unter Kontrolle.«
Ich hätte mir den Atem sparen können. Man hörte Dakros durch die niedergebrochenen Reben stapfen, dann beugte er sich dort, wo Nick stand, über die Hecke. Im Grunde genommen konnte man es ihm nicht verdenken. »Was ist es diesmal?« wollte er wissen.
Wohl oder übel mußte ich ihm Auskunft geben. »Dieselben Verbrecher, die für die Morde oben in der Festung verantwortlich sind, haben diese junge Frau hier entseelt, um ihren Wagen zu stehlen. Wenn Ihr bitte Euren Suchscheinwerfer ausschalten würdet; ich kann meine Markierung nicht erkennen.«
Dakros sprach einen Befehl in sein Com. Dabei hielt er den Blick auf Nick gerichtet und musterte ihn prüfend. Als der große Scheinwerfer erlosch, sagte er: »Du bist einer von den zwei Schaulustigen, die Jeffros entwischt sind, nicht wahr?«
Nick hatte ebenso wenig wie ich den Wunsch, Dakros mehr zu erzählen als nötig. Während ich Maree behutsam auf den richtigen Platz parallel zu der nun wieder sichtbaren Rille im Boden legte, antwortete Nick: »Ja, es tut mir leid. Wir hatten keine Ahnung, daß es sich um eine militärische Operation handelte. Aus Jux sind wir
Mr. Venables hierher gefolgt, nur so eine dumme Idee. Das haben wir Jeffros erklärt. Als der Trubel anfing, wollten wir verschwinden. Aber - aber es ist schiefgegangen.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Dakros ihm zu. »Euch war befohlen worden, bei den Orlogs zu warten; der Magid hatte schon genügend Probleme, auch ohne euch.« Statt sich nun, wo er Bescheid wußte, seinen eigenen Geschäften zuzuwenden, verfolgte er über die Hecke hinweg, wie ich von Maree zurücktrat und die Formel sprach, die nur einen Spalt in den Mauern zwischen den Welten öffnet.
Die Stelle war ohnehin geschwächt. White - oder Janine - hatten den geschaffenen Durchgang nur notdürftig versiegelt. Jetzt brach er auf, und ein brüllender roter Feuersturm schlug uns entgegen. Dakros und Nick schrien auf und duckten sich, sogar Marees entseelter Körper zuckte zusammen. Ich hielt mir schützend einen Arm vor das Gesicht und arbeitete wie ein Verrückter, um dieses Tor wieder zu schließen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Die Hecke begann zu knistern, und ich hörte ein
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