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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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was ich für die Wohnung ausgegeben habe. »Nicht bis zum nächsten Semester«, fügte ich hastig hinzu, weil mir einfiel, daß ich Onkel Ted meinen Obolus für Unterkunft und Verpflegung schulde. Es war keine richtige Lüge. Vielleicht kommt ja noch irgendein Fatzke daher und schenkt mit hundert Pfund. Wer weiß?
    »Dann brauchst du was für den Con«, meinte er. »Es kann da ziemlich teuer werden.« Und er gab mir sein Bündel Scheine. Als ich nachzählte, waren es fünfundsiebzig Dollar; alles aus seiner Gesäßtasche. Dann fuhr er fort - ich fiel beinahe in Ohnmacht -: »Und ich zahle dir das Benzin für Hin- und Rückfahrt. Immerhin ist es meine Schuld, daß du mitkommen mußt.« Dann verschwand er »Orion, Orion«, murmelnd wieder in seiner Klause, bevor ich auch nur ein Dankeschön herausgebracht hatte.
    Nun ja. Armer Onkel Ted. Er ist derart aufgeregt wegen seiner Rede, daß er mir Nicks kleine Eskapade verziehen zu haben scheint. Er hat auch Nick verziehen. Sohnemann bekommt wieder sein üppiges Taschengeld. Ich werde mir eine Jeans zum Wechseln kaufen, damit ich die waschen kann, die ich anhabe.

      
      
    [5]
    Armer Onkel Ted. Am Donnerstag - ich habe mit diesem Eintrag angefangen, als es noch Donnerstag war, mittlerweile ist Freitag - war er blaß und zitterte und mußte dauernd aufs Klo laufen. Er war nicht imstande zu packen - na ja, er versuchte zu packen, aber es blieb bei einem Pullover und einem halben Pyjama, und Janine mußte für ihn weitermachen. Er ließ die Mappe mit seiner Rede auf dem Schreibtisch liegen und wollte ohne sie abfahren. Janine hatte so viel mit ihm zu tun, daß sie erleichtert zu sein schien, als ich sagte, ich würde nicht mit ihnen fahren, sondern in Paps’ Wagen nachkommen. (Ich verriet nicht, daß Onkel Ted das Benzin bezahlt hatte.) Nick verkündete prompt, er käme mit mir. Ich vermute, Vetter Nick spekulierte darauf, wir würden uns absetzen oder zu Hause bleiben, doch einmal abgesehen davon, daß ich Onkel Ted versprochen hatte, AUFMERKSAM seiner Rede zu lauschen und am Schluß kräftig zu applaudieren, war ich neugierig geworden. Ich wollte wissen, was für eine Veranstaltung das war, die ihm solchen Schrecken einflößte.
    Inzwischen weiß ich Bescheid. So ziemlich.
    Nick und ich fuhren ungefähr eine Stunde nach seinen Eltern los. Die Verzögerung kam daher, daß ich erst meine gesamte weltliche Habe in Paps’ Auto lud. Nick wollte wissen, weshalb.
    »Andere Leute haben Schmusedecken«, erklärte ich ihm. »Ich polstere meine Existenzangst mit allem, was mir gehört.« In Wahrheit verfolgt mich die Ahnung - aber das braucht er nicht zu wissen -, daß ich nach Ostern obdachlos sein werde.
    Nein, schlimmer als das: Es ist ein Gefühl, daß die Welt dann untergehen wird und daß ich all meine Besitztümer stets mit mir führen sollte, damit ich, wenn ich nach Armageddon in irgendeiner Höhle sitze, wenigstens meinen Computer und meinen Veterinärkoffer bei mir habe (beides äußerst nützlich unter solchen Umständen). Ich weiß nicht, woher dieses Gefühl kommt. Die Träume von der Dornenhexe vielleicht. Es ist nicht mein Vater. Ich habe ihn angerufen, und er beteuert, daß es ihm gutgeht (nur weiß ich, er sagt das, damit ich mir keine Sorgen mache). Es ist einfach so, daß diese trostlose Überzeugung sich auf mich gesenkt hat wie eine regnerische Woche. Ich habe sogar Mum deswegen angerufen. Sie war ihr übliches heiteres Selbst.
    »Kind«, sagte sie, »du solltest diese Vorahnung ernst nehmen. Die Gabe liegt bei uns in der Familie. Meine Mutter sah den Tag und die Stunde ihres Todes voraus, und sie war noch bei bester Gesundheit, als sie mir davon erzählte.«
    Kochendheißen Dank, Mum.
    Was soll’s. Ich schlug den Kofferraumdeckel zu, und Nick bemerkte, als er einstieg: »Ich werde nichts sagen. Mein Vater hat mir das Versprechen abgenommen, dich nicht aufzuregen.«
    »Was soll das heißen, mich nicht aufregen?« Der Wagen startete mit aufheulendem Motor und einem Satz nach vorn - das passiert mir immer, wenn ich irgendwie gereizt bin.
    »Er meint die Art, wie wir gewöhnlich miteinander umgehen - er nennt das Dominanzgerangel«, erklärte Nick seelenruhig. »Er versteht nicht, daß ich mich wehren muß, damit du mich nicht unterbutterst.«
    »Oh, verschone mich!« Erst nach der Hälfte der Strecke hatte ich diesen Brocken verdaut. Onkel Ted meinte es bestimmt gut, und ich wußte, er hatte gestern mit Nick ein Gespräch unter vier Augen geführt. Aber ich

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