Eine Frage der Balance
Gianetti, tränenerstickt zu Max im Hough sagen: »Ich konnte sie nicht bändigen! Ich hatte Angst, sie würden sich über mich hinweg an die Gurgel fahren! Und bei einer Fernsehsendung hätte ich eine derartige Ausdrucksweise keinesfalls geduldet!«
Kees’ Augen leuchteten auf. »Ausdrucksweise? Was für eine Ausdrucksweise? Klartext, Tacheles, Fraktur, gespickt mit Fäkalinjurien? Jemand möge uns erleuchten!«
Tatsächlich drängte er Gianetti und die Amerikaner, zu wiederholen, was die Kontrahenten sich gegenseitig an den Kopf geworfen hatten. Ich konnte nicht mehr an mich halten. »Kees, tun Sie das immer, Leute manipulieren?«
»Nur, wenn ich etwas erfahren möchte«, gestand er unbefangen. »Für die Gerüchteküche und das Examen und so weiter.«
»Das ist ein Mißbrauch von Macht.«
»Ach, Sie sind ein Paragraphenreiter, ich habe es Ihnen angesehen. Aber was ist so schlimm daran?«
»Beim Examen wäre es zum Beispiel Betrug.«
»Alle betrügen«, sagte er, »wenn sie die Gelegenheit haben. Ich würde es nicht tun, wenn es um etwas Wichtiges ginge, eine Parlamentswahl oder so. Und das hier kann man sich doch einfach nicht entgehen lassen.«
Allmählich hegte ich ernsthafte Zweifel an der moralischen Integrität dieses Kandidaten. Vielleicht meinte er es wirklich nicht böse, aber konnte man darauf vertrauen, daß in zehn Jahren aus dem Spaß nicht Ernst geworden sein würde? Ich war ganz froh, als er auf seine Uhr schaute und sagte, er müsse gehen, für die Verleger den Laufburschen machen.
»Sie brauchen kein Dessert zu bestellen«, warf er über die Schulter zurück. »Ich bin süß genug.«
Ich ging ebenfalls, nachdem es mir gelungen war, einen Kellner heranzuwinken und meine Rechnung abzeichnen zu lassen. In jeder Hand zwei Tragetaschen mi t Büchern, machte ich mich auf den Weg zum Ausgang. Thurless saß an dem Tisch neben der Tür. Ich hatte gehofft, mir ihn als nächsten vornehmen zu können, doch er war unverkennbar immer noch in Rage, nach der Hingabe zu urteilen, mit der er die Bratkartoffeln auf seinem Teller aufspießte. Man sah ihm an, wie er sich ausmalte, das sind Ted Mallorys Nieren, und das ist sein Herz, und sein Bart zitterte vor Wut. Trotzdem wäre ich stehengeblieben, um mich mit ihm bekannt zu machen, hätte nicht der andere Mann an seinem Tisch bei meinem Näherkommen den Kopf gehoben und mich angesehen. Es war der feindseligste Blick, den ich je auf mir gefühlt habe, und traf mich aus fahlen Augen, die gelb waren, wo sie hätten weiß sein sollen, dazu teilten sich in einem braungrau melierten Bart wulstige Lippen zu einem Zähnefletschen.
Der Mann war mir vollkommen fremd. Auf seiner Plakette stand GRAM WHITE, und ich glaubte, mich zu erinnern, daß Mrs. Janine Mallory beim Frühstück diesen Namen erwähnt hatte, mehr wußte ich nicht. Doch es konnte keinen Zweifel daran geben, daß er über ein starkes magisches Potential verfügte, dem von Thurless etwa gleichwertig. Und er haßte mich. Und er signalisierte mir, fernzubleiben. Ich ging einfach weiter, als hätte ich nichts bemerkt. In einem der zahllosen Spiegel des Hotels konnte ich sehen, wie ich, beide Hände voll, mit der Schulter die Tür aufdrückte, und niemand hätte mir angemerkt, daß irgend etwas Ungewöhnliches geschehen war. Ich gratulierte mir im stillen zu meiner Geistesgegenwart und Selbstbeherrschung. Erst draußen, als ich darüber nachgrübelte, was den Unsympathen bewogen haben mochte, mich so grimmig anzustarren, fiel mir ein, daß über seiner Stuhllehne ein grauer Kapuzenumhang gehangen hatte. Aha! Er war der Anführer dieser Prozession mönchischer Gestalten gewesen, denen man tags zuvor im Foyer betont aus dem Weg gegangen war.
Da ich eben die Signatur seiner Magie gespürt hatte, glaubte ich, auch den Grund für seine Animosität zu kennen: Er war einer von den beiden verantwortungslosen Nutzern des Nodus gewesen, und er mußte in mir denjenigen erkannt haben, der hinter ihnen sozusagen aufgeräumt hatte.
Ich ging stracks zum Basar. »Gram White?« fragte ich Zinka.
Sie saß inmitten ihrer Spiegel, Schatullen und geflügelten Figuren und aß ein großes Hot dog. »Schlechte Medizin«, gab sie mit vollen Backen Auskunft. »Ein Hiesiger, Inhaber der Waffenfabrik in Wantchester. Nimmt regelmäßig an diesem Con teil und leitet regelmäßig Esoterica in Universe Three. Am besten nicht einmal mit der Beißzange anfassen!«
»Danke«, sagte ich und überließ sie ihrem Imbiß.
Der nächste Weg
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