Eine Frage der Balance
Samstagvormittag, als ich wieder mein Glück versuchte, waren gut zwanzig Personen da draußen, unter ihnen der Hotelmanager, und ihn hörte ich sagen: »Nein, ich weiß auch nicht, woher zum Teufel das kommt, aber ich weiß, es ist Scarlatti.«
Oha! dachte ich und trat heimlich, still und leise den Rückzug an.
Vor der Küche setzte ich mich in einer unauffälligen Ecke auf einen alten Stahlrohrstuhl und versuchte zwanzig Minuten lang, die Leute dazu zu bewegen, ihre Suche nach dem Ursprung der Musik aufzugeben und wieder an die Arbeit zu gehen. Sie waren überzeugt, daß es auf dem Belegschaftsparkplatz spukte. Und als klassische Bewohner einer Minderwärts-Welt gedachten sie nicht zu ruhen, bis sie eine rationale Erklärung für das Phänomen gefunden hatten.
Ich servierte ihnen diese Erklärung auf dem Präsentierteller. Ich hielt sie ihnen vor die Nase. Ich schwenkte sie verlockend. Und immer noch argwöhnten sie ganz richtig einen Geist.
Schließlich konzentrierte ich mich auf den Manager und bewog ihn, frustriert aufzugeben und mit seiner
Mannschaft ins Hotel zurückzukehren. Einer der Köche sagte, als er an mir vorbeiging: »Also wenn es ein Autoradio ist, weshalb spielt es dauernd dieselbe Musik?«
Der Kellner, der bei ihm war, st imm te zu. »Sechsunddreißig Stunden geht das jetzt schon. Jede Autobatterie wäre mittlerweile am Ende.«
Sobald die Luft rein war, ging ich zu meinem als Rostlaube getarnten Wagen, den ein von Sonnenenergie gespeister Scarlatti umperlte. Verständlich, daß die Hotelbelegschaft beunruhigt war, die Klänge schienen von überallher und nirgends zu kommen.
Ich schloß die Tür auf. »Stan?«
»Was ist los? Was haben all diese Leute gesucht?« begrüßte er mich.
»Dich.«
Er war sehr niedergeschlagen, nachdem ich ihm den Sachverhalt berichtet hatte. »Heißt das, ich muß auch auf Musik verzichten?« fragte er kläglich. »Wie soll ich mir sonst die Zeit vertreiben?«
»Kannst du dir nicht geistige Kopfhörer basteln oder so was? Ich habe schon genug zu tun, ohne daß du die Hotelbelegschaft in Angst und Schrecken versetzt.«
»Daran habe ich nicht gedacht. Geistige Kopfhörer, hm ...« Ich wollte ihn mit einiger Schärfe darauf hinweisen, daß er nicht hier war, um sämtliche fünfhundertsoundsoviel Scarlatti-Sonaten auswendig zu lernen, als er sagte: »Dann willst du all meine Kandidaten für ungeeignet erklären?«, und ich merkte, daß er mich verulkte.
»Das haben sie mehr oder weniger selbst besorgt. Fisk hat eine Stunde lang meine Hand geknetet und mir dabei erzählt, meine Aura wäre eine große graue Wolke aus seelischem Smog, aber unglücklicherweise ist sie es, die in dieser grauen Wolke steckt und alles grau in grau sieht. Ich weiß nicht, was sie sich angetan hat, aber sie riecht nach dem üblen Zeug. Thurless ebenfalls. Er...«
»Moment mal, was meinst du mit >riechen«
Wenn der verrückte Gabrelisovic diese Ausstrahlung als Geruch beschreiben konnte, dann ich auch. »Du kennst das Gefühl, Stan. Es ist wie seelisches Sodbrennen oder als würde jemand deine Gehirnwindungen mit einem starken Bleichmittel durchspülen. Man hat es, we nn Nigromanten mit einem sprechen. Manc hm al auch schon, we nn sie einen nur ansehen.«
»Ach, jetzt verstehe ich. Miasma, habe ich das genannt. Thurless hat es auch?«
»Viel stärker als Fisk. Ich habe mich ziemlich lange mit ihm unterhalten, und er erzählte mir lang und breit von all den Gelegenheiten, wo böswillige Mitmenschen ihn im Stich gelassen oder beleidigt hatten oder seine Ideen gestohlen oder Verleger überredet, sein neues Buch abzulehnen - zu guter Letzt fragte ich ihn geradeheraus, ob es nicht an ihm selbst liegen könnte. Ich fragte ihn, ob er sich je Mühe gegeben hätte, nett zu sein oder der Welt ein freundliches Gesicht zu zeigen. Und, Stan, er verstand nicht, worauf ich hinauswollte. Und inzwischen war dieses - Miasma so stark, daß mir schlecht wurde und ich es nicht mehr in seiner Nähe aushalten konnte. Der nächste war ...«
»Der Kroate?«
Ich nickte. »Verrückt. Mit Prädikat. Dann...«
»Und was spricht gegen Punt?«
»Noch verantwortungsloser als Mallory. Er sieht sich als eine Art universellen Hofnarren, glaube ich. Aber ich wollte dir von Mallorys neuester Eskapade berichten.« Ich schilderte ihm, wie ich mich auf den Weg gemacht hatte, um Will zu besuchen, und meine Bestürzung, als ich mich an Wills Hofgatter umdrehte und sah, daß Maree und ihr Vetter mir gefolgt waren. »Der
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