Eine Frage der Zeit
„Endlich, da sind Sie ja. Haben Sie eine Ahnung, was genau passiert ist?“
Velten schüttelte den Kopf: „Viel mehr als das, was ich Ihnen vorhin am Telefon sagte, weiß ich selber nicht. Die Volkmer soll sich aufgehängt haben. Aber ich denke, dass Susanne uns bald mehr erzählen wird. Sie hat darauf bestanden, dass ich Sie mitbringe. Offenbar hält sie es für möglich, dass der Selbstmord etwas mit Ihrem Besuch in der Praxis gestern Morgen zu tun hat.“
„Das wäre ja schrecklich“, sagte Marcks betroffen. „Aber sie wirkte doch überhaupt nicht niedergeschlagen, als ich ging, sondern eher verärgert.“
„Dazu passt ja auch, dass die Volkmer sich bei Kreutzer beschwert hatte“, pflichtete ihr Velten bei. „Machen Sie sich mal keine Gedanken, Sie haben sicher nichts mit ihrem Tod zu tun.“
„Hoffentlich haben Sie r echt“, sagte Marcks niedergeschlagen. „Aber vielleicht hatte sie den Tod ihres Geliebten Alexander Stürmer nie verkraftet und ich habe mit meinen Fragen alles wieder aufgewühlt.“
Die beiden wandten sich dem Haus zu. Eben kamen ein Notarzt und eine Rettungssanitäterin aus dem Eingang. Sie führten eine völlig aufgelöste junge Frau die Treppe hinunter und verfrachteten sie in den Rettungswagen. „Das ist die Sprechstundenhilfe“, erklärte Marcks. „Ich habe gestern kurz mit ihr gesprochen.“
In diesem Augenblick erschien auch Susanne auf dem Treppenabsatz. Sie sah sich suchend um und entdeckte Velten und seine Kollegin unter den Gaffern. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihnen, zu ihrem Wagen zu kommen, der ein Stück die Straße hinunter auf dem Gehweg parkte. Kaum eine Minute später saßen alle in dem Auto, Susanne und Velten vorne, Marcks auf der Rückbank.
„Hier können wir besser reden als vor dem Haus oder in der Praxis“, erklärte die Polizistin.
„Nun sag schon, was ist passiert?“, drängte Velten.
„Das ist schnell erzählt. Auf der 110 ging um kurz vor acht ein Notruf ein. Die Sprechstundenhilfe, die wie an jedem Morgen als erste in der Praxis war, hatte Dr. Volkmer erhängt am Fensterkreuz in einem der Behandlungszimmer gefunden. Die Kollegen und die Ambulanz waren wenige Minuten später hier, konnten aber nichts mehr für sie tun. Der Notarzt schätzt, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon seit mehreren Stunden tot war.“
„Gibt es Anzeichen dafür, dass es kein Selbstmord war?“, fragte Velten.
„Wir müssen natürlich die Autopsie abwarten, aber die Spuren in der Praxis deuten darauf hin, dass sie auf die Fensterbank geklettert ist, ein Stromkabel an einem dieser großen Sprossenfenster angebracht und sich daran erhängt hat. Es gibt auf den ersten Blick keine Einbruchspuren, die Eingangstür war nach den Angaben der Zahnarzthelferin geschlossen, aber nicht verriegelt.“
Susanne wandte sich an Marcks: „Sie hatten Frau Dr. Volkmer gestern befragt, wie mir Max erzählte. Worum ging es bei diesem Gespräch?“
Marcks berichtete detailliert von ihrem Besuch bei der Zahnärztin. Als sie ihre Ausführungen abgeschlossen hatte, erzählte Velten vom Anruf von Dr. Volkmer bei Dieter Kreutzer. Susanne hörte aufmerksam zu und machte sich hin und wieder Notizen. Schließlich bat sie Marcks um ihre Handynummer, um mit ihr in Verbindung treten zu können, falls es noch weitere Fragen geben sollte.
„Die Kollegen von der Funkstreife haben Fleischmann übrigens gestern auf dem Parkplatz des Morgenkurier nicht mehr angetroffen“ sagte Susanne. „Vermutlich ist er immer noch hinter euch her. Seid also besser vorsichtig.“
Als sie zu ihren Fahrzeugen gingen, piepte Marcks’ Smartphone. Sie kramte das Telefon aus ihrer Umhängetasche: „Eine SMS von diesem Galeristen Linaud. Den hatte ich ganz vergessen. Er wollte uns ja noch mitteilen, wann wir uns mit ihm treffen können.“
„Was schreibt er?“ Sie zeigte ihm das Display mit der Nachricht: „Liebe Frau Marcks, erwarte Sie + Ihren Kollegen 14/30h. Gruß E. Linaud.“
„Ich kann den Termin verschieben, damit wir uns um den Tod von Frau Dr. Volkmer kümmern können“, schlug Marcks vor.
Velten dachte kurz nach, entschied sich dann aber dafür, das Treffen nicht abzusagen. Zum einen war es für ihre Recherchen über den Verbleib der gestohlenen Gemälde wichtig, mehr über den legalen und illegalen Kunstmarkt zu erfahren. Zum anderen war der Galerist ja zumindest ein Bekannter, wenn nicht sogar ein Freund von Dr. Volkmer und konnte ihnen vielleicht etwas sagen, das ihnen half, den Freitod
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