Eine Frau flieht vor einer Nachricht
einem Vortrag gesehen, das hätte sie nicht vergessen). Wir haben Kekse gegessen, die sie gebacken hat. Sehr lecker. Ich dachte mir, das ist das erste Mal, dass ich wieder Dattelkekse essen kann.
Hast du seine Bewegungen gesehen? fragt Ilan eines Nachts, als sie im Bett liegen.
Von Adam? Die er mit dem Mund macht? murmelt sie und rückt ihren Kopf in seiner Achselhöhle zurecht, gräbt sich dort ein (später, wenn sie eingeschlafen wäre, würde Ilan sie vorsichtig umdrehen und sich sanft an ihren Rücken drücken; jede Nacht im Halbschlaf erlebt sie die Süße jener Reise, wenn ihr Vater sie allabendlich auf dem Arm vom Sofa in ihr Bett trug).
Und hast du gesehen, wie er sich mit dem Finger zwischen die Augen tippt?
Ihre geschlossenen Augen öffnen sich: Jetzt, wo du es sagst.
Sollen wir ihn mal fragen?
Nein, nein, lass lieber, was bringt das schon?
Du hast recht, das vergeht bestimmt auch so.
Ein paar Tage später merkt sie, dass Adam sich nun auch alle paar Minuten in die Handfläche bläst, wie einer, der seinen Mundgeruch prüfen will. Er dreht sich um die eigene Achse und macht kurze, schnelle Atemstöße, als wolle er ein unsichtbares Wesen vertreiben. Sie beschließt, Ilan nichts davon zu erzählen, zumindest nicht gleich. Warum soll er sich unnötig Sorgen machen? Ein paar Tage, und es ist wieder vorbei. Doch schon am nächsten Tag kommen neue Bewegungen hinzu: Jedes Mal, wenn er etwas anfasst, bläst er sich auf die Fingerspitzen und danach auf die Unterarme bis zu den Ellbogen. Und bevor er etwas sagt, formt er die Lippen wie ein Fisch zu einem O. Dieser überschießende Erfindungsreichtum macht ihr etwas Sorgen. Ein Satz ihrer Mutter fällt ihr ein: Die Vielfalt der Sorgen kennt keine Grenzen. Zum Schluss, nachdem er beim Mittagessen dreimal unter verschiedenen Vorwänden aufgestanden, ins Badezimmer verschwunden und mit nassen Händen zurückgekommen ist, ruft sie Ilan im Büro an und beschreibt ihm die neuesten Entwicklungen. Ilan hört ihr schweigend zu. Wenn wir daraus jetzt eine große Sache machen, sagt er, drängen wir ihn nur noch weiter in die Ecke. Lass uns einfach versuchen, es zu ignorieren, und du wirst sehn, er wird sich von allein wieder beruhigen. Sie wusste, dass er das sagen würde. Genau deshalb hat sie ihn ja angerufen.
Am nächsten Tag beobachtet sie, dass Adam, wenn er sich zufällig selbst berührt, schnell auf die berührten Stellen pustet. Das neue Gesetz, dem er nun wohl gehorchen muss, macht aus ihm ein Knäuel kantiger Gebärden und Gegengebärden, die er mit allen Mitteln verbergen will, doch Ora sieht sie, und Ilan sieht sie auch. Sie tauschen Blicke.
Merkwürdig, denkt Avram, haben sie nicht daran gedacht, mit ihm zu jemandem irgendwo hinzugehen?
Vielleicht sollten wir ihn doch zu jemandem bringen, sagt sie nachts im Bett zu Ilan.
Zu wem? fragt Ilan mit verkrampfter Stimme.
Keine Ahnung. Zu jemandem, der was davon versteht, der ihn sich mal anschaut.
Zu einem Psychologen?
Vielleicht? Einfach, dass er mal einen Blick auf ihn wirft.
Nein, nein, das würde alles bloß noch schlimmer machen, das wäre, als ob wir ihm sagen, er sei …
Was?
Er sei nicht in Ordnung.
Aber er ist nicht in Ordnung, denkt Ora.
Komm, lass uns noch ein bisschen warten, gib ihm noch etwas Zeit.
Sie versucht, sich in seiner Achsel einzurichten, doch ihr Kopf findet keinen Platz, und überhaupt – es ist zu heiß, sie schwitzen, ihre beiden Körper sind unruhig. Aus irgendeinem Grund erinnert sie sich an etwas, was Avram ihr mal gesagt hat: Wenn man einen Menschen, egal wen, lange genug beobachtet, kann man den entsetzlichsten Zustand sehen, in den er vielleicht mal geraten wird. Sie schläft diese ganze Nacht nicht ein.
Am Wochenende fahren sie an den Strand von Bejt Jannai. Von dem Moment an, wo sie den Strand erreicht haben, ist Adam ununterbrochen damit beschäftigt, zu putzen. Er wäscht sich immer wieder die Hände, schrubbt mit feuchten Tüchern seine Matratze. Sogar die Luftmatratze wendet er alle paar Minuten um, um den Teil abzuwischen »der das Wasser berührt hat«.
Gegen Abend, als die Sonne untergeht, sitzen Ora und Ilan in Liegestühlen, Ofer spielt und gräbt im Sand, nahe an der Wasserlinie. Adam steht bis zur Hüfte im Wasser, dreht sich um sich selbst, versprüht in alle Richtungen seine kurzen Atemstöße, berührt nacheinander sämtliche Arm-, Hand- und Fingergelenke und auch die Beine. Ein alter Mann und eine alte Frau, beide hochgewachsen und braungebrannt,
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