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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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hat, solchen Blödsinn zu machen, sich dem Blödsinn und der Freude dermaßen hinzugeben. Die arglosen unter den Geschöpfen , hatte er mal irgendwo gelesen, und schmolz ihr entgegen. Ich bin glücklich, erschrak er, ich will sie, will sie für mich, für immer und ewig, und schon sprangen seine Gedanken bis zur Grenze des Möglichen, du Liebeskranker, du Schwärmer, das wird meine Frau, die Liebe meines Lebens …
    Zweite Strophe, verkündete Ora:
    Der schaute gar nicht auf den Weg …
    Tschingerassa bumm, sang Avram mit kräftiger Stimme, und auch er klopfte den Takt auf die Schenkel, und manchmal, ohne es zu merken, auch auf ihre.
    Hat nur den Mädchen nachgesehn …
    Tschingerassa bumm.
    So irrten wir ohn’ Weg und Steg …
    Tschingerassa bumm
    Und um die Mädchen war’s geschehn!
    Warte, sagte Avram, legte seine Hand auf ihren Arm, still, da kommt jemand.
    Ich hör nichts.
    Das ist er.
    Kommt er zu uns? Aus dem Zimmer?
    Das versteh ich nicht. Er lebt doch kaum noch.
    Was machen wir jetzt, Avram?
    Ich kapier nicht, wie der überhaupt laufen kann.
    Vielleicht gehst du ihm entgegen und bringst ihn zurück in euer Zimmer?
    Schschsch … Er läuft nicht …
    Sondern?
    Er kriecht. Hörst du? Er zieht sich mit den Händen …
    Hörst du, wie er schnauft …
    Er kommt zu uns gekrochen.
    Nimm ihn hier weg, bring ihn zurück!
    Was ist dabei, Ora, dann ist er eben ein bisschen mit uns zusammen.
    Nein, das will ich nicht. Nicht jetzt.
    Wart mal kurz. Hallo, Ilan? Komm, es ist hier, noch ein bisschen.
    Dann geh eben ich.
    Bist du verrückt? Wieso bist du so? Ilan? Ilan?
    Ich muss hier weg.
    Ilan, ich bin Avram, aus der Klasse, ich bin hier mit Ora. Und jetzt sag du ihm was …
    Was soll ich ihm sagen?
    Sag ihm was …
    Ilan? … Das bin ich, Ora.
    Ora?
    Ja.
    Was, du bist wirklich?
    Natürlich, Ilan, das bin ich, komm, komm und bleib ein bisschen bei uns.

Stotternd schlängelte sich die Kolonne aus Zivilfahrzeugen, Jeeps, Militärkrankenwagen, Panzern und riesigen Bulldozern auf Transportern dahin. Der Taxifahrer, mit dem sie fuhren, war still und grimmig, seine Hand lag auf dem Schaltknüppel des Mercedes, sein breiter Nacken bewegte sich nicht, und schon mehrere Minuten hatte er weder sie noch Ofer angeschaut.
    Bereits beim Einsteigen hatte Ofer wütend die Luft durch die Lippen gepresst, und sein Blick sagte, das war aber eine tolle Idee, Mama, ausgerechnet ihn für diese Fahrt zu rufen, und erst da begann sie etwas zu begreifen – um sieben Uhr früh hatte sie Sami angerufen, er möge bitte kommen, er solle sich auf eine lange Fahrt einstellen, in die Gegend des Berges Gilboa. Jetzt erinnerte sie sich, dass sie ihm nichts Genaueres gesagt und ihm auch nicht, wie sonst, den Zweck der Fahrt erklärt hatte. Sami hatte gefragt, wann er da sein solle, und sie hatte etwas gezögert und gesagt, um drei, und er sagte, Ora, wir sollten lieber früher weg, auf den Straßen wird die Hölle los sein, das war seine einzige Bemerkung zum Wahnsinn dieses Tages gewesen, und selbst da verstand sie nichts und sagte nur, sie könne auf keinen Fall vor drei. Sie wollte diese Stunden mit Ofer verbringen, Ofer war einverstanden gewesen, und sie hatte gesehen, welche Anstrengung ihn das kostete. Sieben, acht Stunden, mehr waren nicht übrig geblieben von dem einwöchigen Ausflug, den sie für ihn und sich geplant hatte, und jetzt wurde ihr klar, dass sie Sami am Telefon noch nicht einmal gesagt hatte, dass Ofer bei der Fahrt dabei sein würde. Hätte sie das getan, er hätte sie vielleicht gebeten, ihn ausnahmsweise von dieser Fahrt zu entbinden, und ihr einen der jüdischen Fahrer geschickt, die bei ihm arbeiten, mein »jüdischer Sektor«, so nannte er sie. Doch als sie ihn früh am Morgen angerufen hatte, war sie schon völlig durch den Wind gewesen und hatte einfach nicht nachgedacht – mit jedem Moment wuchsnun das drückende Gefühl in ihrer Brust –, dass man für so eine Fahrt, an so einem Tag, besser keinen arabischen Fahrer bestellte.
    Auch wenn er ein Araber von hier ist, einer von unseren, hämmert Ilan in ihrem Kopf, als sie versucht, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Auch wenn es Sami ist, der ja schon fast zur Familie gehört und seit mehr als zwanzig Jahren alle chauffiert – das Büro von Ilan, ihrem getrennt lebenden Mann, und die gesamte Familie. Sie stellen sein Haupteinkommen, sein festes monatliches Gehalt, und er ist im Gegenzug verpflichtet, jederzeit, wenn sie ihn brauchen, vierundzwanzig Stunden am Tag

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