Eine Frau für Caracas
eine dunkle Blutwelle von der Stirn über das Gesicht und den Hals in den Ausschnitt ihres Dirndlkleides hinein, und er fühlte sich fast versucht, nach unten zu blicken, um festzustellen, ob die dunkle Welle auch ihre hübschen Waden und Knöchel erreiche...
»Haben Sie plötzlich etwas gegen mich, Christine?« fragte er und blinzelte ihr zu. »Sie sind auf einmal so anders...« Sie schlüpfte an ihm vorbei und blieb in der Tür noch für einen Augenblick stehen: »Ich habe das Kopfkissen abgezogen und in die Wäsche getan...«
»Was haben Sie?« fragte er verblüfft.
»Ich dachte, es würde Ihnen vielleicht unangenehm sein, wenn Frau Dyrenhoff die Farbe von dem Lippenstift erkennt, den Frau Eyssing benutzt!« sagte sie und zog die Tür hinter sich zu.
Er starrte in den Spiegel, und er mußte ehrlich gestehen, selten ein so törichtes Gesicht gesehen zu haben wie das, das ihm in diesem Augenblick entgegenstarrte.
»He, Christinchen!« murmelte er, »was ist dir denn in die Krone gefahren? Du wirst mir doch nicht etwa eifersüchtig sein?«
Er setzte sich kopfschüttelnd und leicht betroffen an den Schreibtisch. Eine dunkle Ahnung sagte ihm, daß Christine sich in Zukunft nicht mehr so eifrig nach seinen Leibgerichten erkundigen werde. Und als ob ihr ein Hellseher verraten hätte, was ihm von Kindheit an das Schlimmste gewesen war: gegen Mittag zog sich ein penetranter Kohlgeruch durchs Haus. Als sich die Familie um ein Uhr zum Essen um den Tisch versammelte, gab es Krautrouladen.
»Endlich mal eines von meinen Gerichten!« knurrte Dyrenhoff.
»Aber ich hatte Ihnen doch gesagt, daß mein Bruder Krautwickerl nicht ausstehen kann, Christine!« rief Gerda; »Sie sollten doch eine Kalbsleber braten.«
»Die Kalbsleber war beim Metzger schon ausverkauft...«
»Wie kommst du darauf, daß ich keine Krautwickerl mag?« fragte Werner und würgte die süßen Kohlblätter mit der weichen Hackfleischfüllung mit verzücktem Gesicht herunter, »seit Tagen wollte ich Christine um Krautrouladen bitten. Und diese eleganten Drahtklammern! Einfach fabelhaft! Mutter brauchte immer eine ganze Rolle Nähgarn dazu...«
Christine beobachtete ihn mit glitzernden Augen.
Am Nachmittag paßte Karin einen günstigen Moment ab, um Werner allein zu erwischen. Gerda war zu ihrer Schneiderin gegangen, und Christine arbeitete im Garten.
»Wir hätten heute Zeit, Onkel Werner, alle drei.«
»Na und?«
»Du hast doch gesagt, du würdest mit uns einmal in die Stadt fahren und in eine Konditorei gehen...«
»Wenn ihr Zeit habt, dann macht euch fertig. Von mir aus kann es gleich losgehen.«
»Prima, Onkel Werner, ich sage es gleich den beiden andern!« Aber dann zögerte sie noch ein bißchen: »Und was du mir versprochen hast?«
»Aber Karin, ich denke ja Tag und Nacht daran, du mußt mir nur endlich sagen, was du dir eigentlich wünschst.«
»Ach, Onkel Werner, ich habe doch nichts anzuziehen, wenn wir beide einmal ausgehen, vornehm, zum Fünf-Uhr-Tee ins Carlton , was du mir ja auch versprochen hast... Oder hast du es schon vergessen?«
»Aber Karin, wie könnte ich!«
»Und da habe ich nun bei Weissbrenner in der Teenager-Abteillung ein Kleid gesehen, einfach süß! Ein Glockenrock mit eingbautem Petticoat, blau mit weißem Besatz, und das Oberteil mit eingearbeitetem... na, du weißt schon!«
»Ich habe keine Ahnung!«
»Hm, nun ja, damit es ein wenig voller wirkt... «
»Ach so! Natürlich... ich verstehe... Also dann auf zu Weissbrenner !«
»Ach, Onkel Werner, du bist einfach goldig! Aber ich fürchte nur...«
»Was fürchtest du? Nun sag’s schon...!«
»Daß das Kleid nicht ganz billig ist. Weissbrenner ist nicht so ein Laden, sondern schon mehr ein Salon... «
»Na, Karin«, meinte er und drehte eine ihrer blonden Locken um den Zeigefinger, »wenn ihr drei mich nicht vorher armfreßt , dann wird es auch für ein Kleid aus einem Teenager-Salon gerade noch langen.«
Die Kinder wurden daheim mit Süßigkeiten kurz gehalten und entwickelten in der Konditorei am Dom einen Appetit, daß sogar die nette Kellnerin, die sie bediente und unermüdlich neue Erdbeertörtchen mit Schlagrahm heranschleppte, Besorgnisse äußerte, ob das wohl gut abgehen werde. Zum Schluß gab sie Werner den gutgemeinten Rat, langsam zu fahren und vor allem nicht zu scharf in die Kurven zu gehen. Nur Karin hielt sich zurück, sie mußte schließlich an ihre Linie denken... Das Kleidchen, das sie später im Salon Weissbrenner anprobierte und das
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