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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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ist es auch; in Fässern wird Marmelade herausgerollt.
    Wir drängen uns durch den menschenwimmelnden Gang, stolpern glitschige Stufen abwärts, landen in stinkenden, faulenden Kartoffeln. Beim Schein schmaler Oberlichter wühlen wir mit Händen und Schuhen in dem Matsch herum, klauben uns Brauchbares heraus. Mohren und die lehmigen Kohlrüben lassen wir liegen, füllen die Eimer mit Kartoffeln. Wir stoßen auf einen Sack, schon halb gefüllt, fragen nicht, wem er gehört, zerren ihn mit uns, treppauf, die Straßen entlang, nach Hause, aufwärts in den ersten Stock.
    Um uns wieder Geknatter und Gedröhn, keiner schert sich darum, das Plünderfieber hat sie alle ergriffen. Wir rannten gleich ein zweites Mal, schleppten diesmal unsere Eimer mit Briketts gefüllt heimwärts. Um uns die Meute, sie rennt und rafft.
    Nun hat auch die Plünderung der verlassenen Läden begonnen. Ein weißhaariger Mann, »Herr« paßte besser, schleppt eine Schublade voller Seifenpulverkartons daher. Auf der Schublade steht »Reis«.
    Hinauf in den ersten Stock. Wir hocken uns aufs Wohnzimmersofa. Unsere Arme sind lahm, die Beine zittern. Die Fensterscheiben, soweit vorhanden, beben sacht. Durch die zerbrochenen Fensterflügel weht linde Wärme herein, untermischt von Brandgeruch. Manchmal Wuuummmm! Mit langhinrollendem Echo, von schweren Flakgeschützen. Dann Päääng! Ganz kurzer Stoß, der aufs Trommelfell drückt: Abschuß schwerer Batterien der Ari. Und, weit weg, manchmal sehr schnelles Knackwum-Knackwum, von Heulen und Bellen begleitet. Ich weiß nicht, was das ist. Die Witwe behauptet, es sei die sogenannte Stalinorgel der Russen. Übrigens hat der Russe bisher keinen Teppich gelegt, es sind immer nur einzelne Bomben unterwegs.
    Schließlich spazieren wir zu zweit los, um im Eckladen, dem einzigen, der noch funktioniert, nach dem Puddingmehl zu schauen, in das gestern die Bombe fiel. Tatsächlich sind noch Kunden da, und tatsächlich wird verkauft. Dies Puddingmehl hat einen aufgedruckten Pfennigpreis, ich glaube, 38 Pfennig. Der Verkäufer, der hier Inhaber ist und beim Laden wohnt, bestand darauf, jedem Käufer die ihm zukommenden Pfennige herauszugeben, fragte draußen und drinnen herum, wer Kleingeld bei sich habe und wechseln könne. Und das bei Beschuß! Sowas gibt es nur bei uns. Pfennigfuchsend fahren wir in die Grube.
    Nur zum Spaß gingen wir um die Ecke herum, beim Fleischer nachschauen, da ich meine Fleischzuteilung immer noch nicht geholt hatte. Wahrhaftig wurde auch dort verkauft, es war höchstens ein Dutzend Personen im Laden und mehr Ware als derzeit verlangt. So bekamen wir gute Stücke, schieres Schweinernes und anständig gewogen.
    Als wir aus dem Laden traten, fuhr ein LKW vorbei; deutsche Truppen darauf, rote Spiegel, also Flak. Sie fuhren in Richtung Stadt, von uns weg aufs Zentrum zu. Saßen stumm da und stierten vor sich hin. Eine Frau rief ihnen nach: »Haut ihr ab?« Sie bekam keine Antwort. Wir sahen uns achselzuckend an. Die Frau meinte: »Sind auch bloß arme Schweine.«
    Immer wieder bemerke ich in diesen Tagen, daß sich mein Gefühl, das Gefühl aller Frauen den Männern gegenüber ändert. Sie tun uns leid, erscheinen uns so kümmerlich und kraftlos. Das schwächliche Geschlecht. Eine Art von Kollektiv-Enttäuschung bereitet sich unter der Oberfläche bei den Frauen vor. Die männerbeherrschte, den starken Mann verherrlichende Naziwelt wankt – und mit ihr der Mythos »Mann«. In früheren Kriegen konnten die Männer darauf pochen, daß ihnen das Privileg des Tötens und Getötetwerdens fürs Vaterland zustand. Heute haben wir Frauen daran teil. Das formt uns um, macht uns krötig. Am Ende dieses Krieges steht neben vielen anderen Niederlagen auch die Niederlage der Männer als Geschlecht.
    Nachher im Keller sinnige Abendbrotgemeinde. Trauliche Stilleben auf einem Quadratmeter pro Haushalt. Hier Tee mit Stullen, dort Kartoffelbrei. S-tinchen piekt mit Messer und Gabel formvollendet eine saure Gurke auf. Ihr verletzter Kopf ist säuberlich verbunden. Die Buchhändlergattin fragt: »Darf ich Ihnen einschenken?« – »Aber bitte sehr, gnädige Frau«, säuselt Gardinenschmidt.
    Über den Kanari wird ein Handtuch gebreitet. Der desertierte Soldat kommt und meldet, daß die Russen sich zum Kino vorfühlen. Unsere Ecke liegt bereits unter Kleinkaliberbeschuß. Keine Uniform darf in unseren Keller, so befiehlt der Ex-Soldat – sonst fallen wir unter Kriegsrecht und werden nach den Regeln des

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