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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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schnell, da ist schon unsere Ecke. Um die gewesene Schupo-Kaserne herum wimmelt es von Autos. Sie fahren mit tiefem, sattem Gebrumm, es riecht nach richtigem Benzin. So rochen die deutschen Autos nicht.
    Keuchend und stolz schleppe ich Rad und Brikettlast die Treppe hinauf. Diesmal kommt der Major mir entgegengerannt, ist ganz aufgeregt, wähnte das Rad bereits geklaut und mich werweißwo. Auch der Usbek ist inzwischen eingetrudelt. Die Witwe schickt ihn gleich mit zwei Eimern zur Pumpe, Wasser für uns zu holen. Er ist schon wie ein Stück Familie für uns, trottet gutmütig los.
    Ich bin ganz sonnetrunken und beseligt von der schnellen Fahrt, fühle mich so froh, so beschwingt wie seit Wochen nicht. Überdies hat der Major Tokaier mitgebracht, fünfbuttig, wir trinken, mir ist katzenwohl. Der Major blieb bis 17 Uhr; als er ging, war mir schon mies. Hab geweint.
    (Wochen später an den Rand gekritzelt, zur Verwendung für Romanautoren: »Drei Herzschläge lang verschmolz ihr Leib mit dem fremden Leib über ihr. Ihre Nägel krallten sich in das fremde Haar, aus ihrer Kehle brachen Schreie, und sie hörte die fremde Stimme fremde, unverständliche Worte flüstern. Eine Viertelstunde später war sie allein. Durch die zerschlagenen Scheiben fiel Sonne in breiten Garben. Sie streckte sich und genoß die Schwere ihrer Glieder. Sie strich sich die zerwühlten Strähnen aus der Stirn. Plötzlich spürte sie mit unheimlicher Deutlichkeit, wie eine andere Hand, wie die Hand des fernen, vielleicht längst toten Freundes sich unter ihr Haar schob. Sie fühlte etwas in sich anschwellen und überwallen. Tränen stürzten ihr aus den Augen. Sie warf sich herum, sie schlug mit Fäusten auf die Polster, sie biß sich in die Hände und Arme, daß blaurote Zahnkränze hervortraten. Sie heulte in die Kissen hinein und wünschte zu sterben.«)
    Dienstag, 8. Mai 1945, mit Montagsrest
    Zum Abend waren wir allein, Herr Pauli, die Witwe und ich. Rot ging die Sonne unter. Ein widerliches Bild, es erinnert mich an all die Brände, die ich in den letzten Jahren sah. Zusammen gingen die Witwe und ich zum kleinen Teich, um Schmutzwasser zu schöpfen. (Fürs Trinkwasser von der Pumpe muß man als Deutscher immer noch eine runde Stunde rechnen.)
    Es mochte acht sein, wir leben ohne Uhr; denn der in ein Handtuch gewickelte, hinten im Schrank versteckte Wecker hat Mucken gekriegt und bleibt stehen, wann er will. Rings um den Teich Stille. Im brackigen Wasser schwimmen Holzstücke, Lumpen, grüne Parkbänke. Wir schöpfen die trübe Brühe in unsere Eimer, stapfen zurück, den dritten Eimer überschwappend zwischen uns. Neben der morschen Holztreppe auf dem Rasenhang liegt etwas. Ein Mensch, ein Mann; er liegt rücklings auf dem Rasen, die Knie hochgezogen.
    Ein Schläfer? Ja, ein stiller Schläfer, er ist tot. Wir stehen beide da und starren ihn an. Sein Mund ist so weit aufgeklappt, daß man die Faust hineinstecken könnte. Seine Lippen sind blau, die Nasenflügel wächsern und eingekniffen. Ein Mann von etwa fünfzig Jahren, sauber rasiert, Glatze. Er sieht sehr ordentlich aus, trägt einen hellgrauen Anzug und handgestrickte graue Socken in altmodischen, blankgeputzten Schnürschuhen. Ich betaste die Hände, sie liegen neben ihm auf dem Rasen, die Finger sind krallig nach oben gekrümmt. Sie fühlen sich lau an, gar nicht todeskalt. Das sagt aber nichts, mag von der Sonne herrühren, die ihn beschien. Einen Puls hat er nicht, tot ist er. Doch er ist noch nicht gefleddert; in seiner Krawatte steckt eine silbrige Nadel. Wir überlegen, ob wir in seine Weste greifen, nach Papieren suchen, etwaige Angehörige benachrichtigen sollen. Unheimlich ist uns zumute. Wir spähen nach Menschen aus. Niemand ist zu sehen. Ich springe etliche Schritte die Straße hinunter, erblicke in einer Haustür ein Paar, ein junges Mädchen und einen jungen Mann, und bitte die beiden, doch mitzukommen, es liege da einer... Zögernd folgen sie mir, verharren eine Weile bei dem Toten, fassen aber nichts an und gehen schließlich stumm und achselzuckend wieder fort. Hilflos stehen wir noch eine Zeitlang da, dann gehen auch wir. Uns ist schwer ums Herz. Trotzdem nehmen meine Augen auf dem Rückweg mechanisch jedes Stückchen Holz wahr, und die Hände verstauen es ebenso mechanisch in die eigens dafür mitgeschleppte Umhängetasche.
    Vor unserem Haus treffen wir unseren alten Gardinen-Schmidt, zusammen mit unserem Soldaten-Deserteur. Ich bin baff darüber, daß diese beiden sich

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