Eine Frau mit Geheimnis
Dominic sich wieder an seinen Plan. „Alexandrow, möchten Sie nach dem Besuch des Zaren etwas länger in England bleiben, ein paar Wochen oder Monate? Ich würde Ihnen sehr gern meine Gastfreundschaft anbieten. Natürlich würde ich Seine Kaiserliche Majestät um Erlaubnis bitten.“
Nur zögernd wandte Alexandrow sich zu ihm. „Oh, ich – ich …“, stammelte er. Schließlich fuhr er mit gepresster Stimme fort: „Ich weiß die Ehre zu schätzen, die Sie mir erweisen, Sir. Aber ich fürchte, es ist unmöglich. Ich muss den Zaren nach Russland zurückbegleiten und dort meine Pflichten erfüllen. Die darf ich nicht vernachlässigen, um meine eigenen Interessen zu verfolgen. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Einladung, und es tut mir wirklich leid, dass ich sie nicht annehmen kann.“
Diese Entschuldigung klang ziemlich lahm. Trotzdem fühlte Dominic sich fast erleichtert. Seine Vernunft hatte ihm ohnehin davon abgeraten, dem jungen Russen diesen Vorschlag zu machen, weil dessen Gesellschaft sich immer bedrohlicher auf sein Gefühlsleben und seine Fantasie auswirkte. Nun war ihm die Entscheidung abgenommen worden – allerdings würde sich die Freundschaft nicht vertiefen.
„Was ist das für ein seltsames Geräusch?“, unterbrach Alexandrow die melancholischen Gedanken.
Dominic öffnete das Wagenfenster an seiner Seite. „Jetzt müssten Sie es besser hören. Der endgültige Beweis für die Strafe, die man erdulden muss, wenn man die falsche Frau heiratet …“ Unfähig, die Bitterkeit in seiner Stimme zu unterdrücken, fügte er hinzu: „Weil die Londoner zeigen möchten, wie sehr sie Princess Caroline lieben, pfeifen sie den Prinzregenten aus.“
Mit wachsendem Entsetzen betrachtete Alex die Sachen, die auf ihrem Bett lagen. Nur widerstrebend griff sie nach den feinen Seidenstrümpfen, strich darüber, und ihre rauen Finger blieben an dem zarten Stoff hängen. Nachdenklich musterte sie ihre kleine, starke Hand, die Spuren jahrelanger harter Kämpfe aufwies – und all der Stunden, die sie im Sattel verbracht hatte. Nicht die Hand einer Dame, die weich und weiß wäre …
Sie warf die Strümpfe auf das Bett zurück. Natürlich würden die Kameraden sie zu dieser Maskerade zwingen. Würde man sie durchschauen und erkennen, dass sie ein Mann war, als Frau verkleidet? Oder eine Frau, verkleidet als Mann, der sich als Frau verkleidete? Doch das spielte keine Rolle. Wie immer sich die Dinge auch entwickeln mochten, sie wäre ruiniert.
Stöhnend sank sie auf das Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. Wie war es bloß dazu gekommen? Zum ersten Mal, seit sie ihr Zuhause verlassen hatte, um sich dem Heer anzuschließen, vergoss sie bittere Tränen.
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Hastig stand sie auf, wischte mit dem Handrücken ihre Augen ab und schaute automatisch in den Spiegel. Zum Glück hatten die rebellischen Tränen ihre Augen nicht gerötet. „Wer ist da?“
„Nur ich, Ihr Offiziersbursche. Gerade hat mich Hauptmann Petrow beauftragt, nachzusehen, ob Sie alles haben, was Sie brauchen. Und er sagte …“
„Halten Sie den Mund, Mann!“ Alex sperrte die Tür auf, bevor er ihre Absichten allen Bewohnern des Pulteney Hotels verraten konnte. „Kommen Sie herein. Also, was hat Petrow gesagt?“
Der Offiziersbursche war größer und stämmiger als sie. Trotzdem schreckte er vor ihrem Zorn zurück.
„Nun?“
„Ich habe Hauptmann Petrows Anweisungen befolgt und die Frauenkleider für Sie bereitgelegt. Aber er dachte, vielleicht würde irgendetwas fehlen. Wenn das zutrifft, soll ich ihm Bescheid geben, und er wird sich darum kümmern.“
Natürlich durfte sie ihre Wut nicht an einem einfachen Soldaten auslassen. Wenn jemand Schuld an dieser grässlichen Situation trug, dann war es Petrow. Alex verkniff sich einen Fluch und musterte wieder die Kleidungsstücke, die auf dem Bett lagen.
Aha, Petrow hatte sich als gewitzt erwiesen. Da er wusste, dass sie ihr kurzes Haar verstecken musste, hatte er ein Kostüm aus dem 18. Jahrhundert gewählt, einer Zeit, als man noch Perücken trug. Das hübsche Gewand aus apfelgrüner Seide war am Ausschnitt und an den Ärmeln mit hellgelber Spitze besetzt. Dazu passten Satinschuhe mit geschwungenen Absätzen und Silberschnallen.
Sie hob das Kleid hoch. Die Bänder, mit denen sie das Oberteil schließen musste, befanden sich an der Vorderseite. Wenigstens ein kleiner Vorteil …
Und dann sah sie das Korsett mit der Verschnürung an der Rückseite.
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