Eine Frau mit Geheimnis
Also musste ihr jemand beim Anziehen helfen. Angewidert hob sie es an einem der Schulterträger hoch. „Nein, niemand kann von mir erwarten, das zu tragen! Großer Gott, darin würde ich keine Luft kriegen.“
„Aber Hauptmann, so etwas ziehen alle Damen an. Und wie soll Ihnen das Kleid ohne Korsett passen?“
„Nun, das ist Petrows Problem. Sagen Sie ihm, er muss mir ein Korsett besorgen, das sich an der Vorderseite schließen lässt. Damit ich die Verschnürung lockern kann, wenn sie unerträglich wird. Nicht einmal für seine zweihundert Rubel möchte ich in Atemnot geraten und die Besinnung verlieren.“ Ungeduldig drückte sie das Korsett in die Hand des Offiziersburschen und schob ihn zur Tür hinaus.
Wieder allein, schlüpfte sie aus ihrer Uniform und streifte das seidene Hemd über den Kopf. Wie die Liebkosung eines Liebhabers glitt es an ihrer Haut hinab. So lange war es her, seit sie zum letzten Mal einen so feinen Stoff berührt hatte. Das Hemd erinnerte sie an ihre Mutter. Aber so schmerzlichen Gedanken wollte sie nicht nachhängen. Stattdessen griff sie nach der silbergrauen Perücke, stülpte sie über ihr kurzes Haar und arrangierte die langen Locken, sodass sie auf eine nackte Schulter fielen. Dann trat sie vor den Spiegel.
Eine Frau starrte sie an. Welch einen Unterschied das lange Haar ausmachte … Unter dem dünnen Hemd zeichneten sich die Umrisse ihres weiblichen Körpers ab. Was würde Calder denken, wenn er sie so sehen könnte? Würde er sie attraktiv finden? Wie wäre es, in seinen Armen zu liegen? Als seine Duchess in seinem Bett? Diese Vision erhitzte ihr Blut, und sie versuchte ihr Spiegelbild anzulächeln – mit einer koketten Miene, die ihn vielleicht umgarnen würde.
Aber der Duke war ein Mann, der sich nicht so leicht betören ließ. Schon gar nicht von einer Frau wie mir, dachte Alex. Nicht einmal, wenn sie halb nackt vor ihm stünde … Es war hoffnungslos.
Außerdem würde er sie niemals in einem so schamlosen Zustand sehen.
Entschlossen bekämpfte sie die Angst, die plötzlich in ihr aufstieg. Welch großen Wert Alexandrow auf seine Privatsphäre legte, war allgemein bekannt. Also würde es niemanden überraschen, wenn sie darauf bestand, sich allein zu verkleiden. Noch wichtiger war das Problem, wie sie die Öffentlichkeit täuschen sollte. Aufmerksam spähte sie in den Spiegel. Es gab so viele verräterische Anzeichen. Zum Beispiel war ihr Gesicht leicht gebräunt, weil sie sich jahrelang sehr oft im Freien aufgehalten hatte. Doch das konnte man ändern, sie würde einfach hellen Puder benutzen.
Und die Hände? Stark und gebräunt und rau. Auch dafür gab es ein Hilfsmittel – Handschuhe. Sie sah sich um. Offenbar hatte Petrow vergessen, Handschuhe zu kaufen. Das werde ich ihm nicht so leicht machen, überlegte sie boshaft. Ich werde ellenbogenlange Handschuhe verlangen, aus apfelgrünem Glacéleder, passend zu meinem Kleid. Soll er ganz London danach absuchen. Hoffentlich braucht er stundenlang dafür!
Lächelnd nickte sie dem Spiegel zu. Jetzt hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Und da sie nun mal zu diesem idiotischen Täuschungsmanöver gezwungen wurde, wollte sie es genießen. Sie stieg in den Unterrock mit dem großen Reifen und verknotete die Bänder in der Taille. Dann zog sie den zweiten Unterrock in dunklerem Grün und das Kleid an, arrangierte die Bänder, die den Rock rafften und so den Blick auf den bestickten dunkleren Unterrock freigaben. Mit einiger Mühe verschnürte sie das Oberteil.
In der Tat, das Kleid schmeichelte ihr und wirkte sehr feminin. Aber ohne Korsett saß es nicht richtig. Ihre Brüste müssten hochgeschoben werden …
Aber sie war ein Mann! Also durfte sie gar keinen Busen besitzen! Prüfend schaute sie wieder in den Spiegel. Sah sie wie ein Mann aus, der sich als Frau verkleidete? Oder wie eine Frau? Für ihre Kameraden musste sie Ersteres darstellen, für die Damen, die ihr auf dem Maskenball begegnen würden, eine Frau. Nun würde alles von dem Korsett abhängen.
Ja, sie brauchte ein Korsett, in dem sie einem flachbrüstigen Mädchen gleichen würde.
Mit ein bisschen Glück müsste ihr das gelingen. Vielleicht wäre es sogar eine amüsante Herausforderung, all die Leute zum Narren zu halten. Sogar Calder, flüsterte eine innere Stimme und bedrohte die eben erst zurückgewonnene Selbstkontrolle. Energisch verdrängte sie diese Gedanken und schob die Füße in die grünen Satinschuhe. Zunächst schienen sie zu passen. Dann
Weitere Kostenlose Bücher