Eine Frau mit Geheimnis
geschlafen. Schon jetzt glaubte er Leos und Jacks Spötteleien zu hören. Natürlich brauchen alte Männer ihren Schlaf …
In dieser Nacht hatte er von Alexandra geträumt. Allein schon der Gedanke an sie weckte ein heißes Verlangen. Aber er verdrängte seine Gefühle, konzentrierte sich auf seinen Verstand und überdachte die wenigen Informationen, die sie erwähnt hatte. Ihre Mutter, eine Gelehrte, besaß griechische Sprachkenntnisse und hieß Anne Catriona. Bis zu ihrer Heirat war sie mit ihrem Vater, einem Diplomaten, auf Reisen gegangen. Immerhin ein Anhaltspunkt, dem er dank seiner Kontakte in Whitehall nachgehen konnte … Allzu viele weit gereiste Töchter schottischer Diplomaten würde es nicht geben.
Zufrieden nickte er. Am nächsten Tag würde er seine Spione in den Whitehall-Palast schicken.
Auf dem Maskenball hatte Alexandra ein sehr elegantes, teures Kostüm getragen. Ließen sich daraus Schlüsse ziehen? Diese grünen Schnallenschuhe waren ungewöhnlich gewesen. Vielleicht würde er herausfinden, aus welchem Laden sie stammten und an welche Adresse man sie geliefert hatte. Ja, dies mochte eine vielversprechende Spur sein. Möglicherweise galt das auch für die gepuderte Perücke.
Nun schöpfte er neue Hoffnung. Aber warum war die junge Dame weggelaufen? Und wohin?
Die erste Frage konnte er beantworten. Ihre Leidenschaft hatte sie überwältigt. Rückhaltlos hatte sie im dunklen Garten seine intimen Liebkosungen genossen. Und dann, in der banalen Umgebung des Ruheraums für Damen, war ihr bewusst geworden, wie leichtfertig sie gewesen war. Deshalb hatte sie die Flucht ergriffen.
Hätte er die Lakaien in der Halle bloß genauer befragt … Eine Dame konnte nicht einfach verschwinden. Zweifellos war sie in eine Kutsche gestiegen – oder in eine Droschke, deren Fahrer sie ihr Ziel genannt hatte. Doch in jener Nacht war er zu wütend und verzweifelt gewesen, um daran zu denken.
Würde sich der Lakai an Alexandra erinnern? Auf dem Maskenball war nur eine einzige Dame in einem hellgrünen historischen Kleid erschienen. Sobald wie möglich musste sich jemand nach ihr erkundigen. Diese Aufgabe durfte der Duke of Calder nicht selbst übernehmen. Damit würde er den Klatschmäulern Gesprächsstoff liefern, und das konnte er sich in seiner Position nicht leisten.
Nach kurzer Überlegung beschloss er den Auftrag seinem Bruder Leo zu erteilen. Jack war genauso vertrauenswürdig, und beide würden Stillschweigen bewahren. Aber Jack stand im Ruf eines passionierten Spielers. Für Frauen interessierte er sich nur sporadisch, und er hielt sich keine Geliebte. Hingegen war Leo ein stadtbekannter Schürzenjäger, und er prahlte ständig mit seinen Erfolgen bei den Damen, die den höchsten Gesellschaftskreisen angehörten. Also würde niemand die Brauen hochziehen, wenn er nach einer verschwundenen Frau fragte.
Wie spät mochte es sein? Wie lange hatte er geschlafen? Jetzt sollte er aufhören, Pläne zu schmieden, und etwas unternehmen. Entschlossen umfasste er den Glockenstrang, der über dem Nachttisch hing.
Sekunden später trat Cooper aus der Ankleidekammer. Offenbar hatte er erwartet, sein Herr würde ihn zu sich bestellen. „Sie haben geläutet, Euer Gnaden?“
„Allerdings. Wie spät ist es?“
„Zehn Minuten vor zehn Uhr abends“, antwortete der Mann grinsend. „Ich dachte mir schon, nun würden Sie bald aufwachen und mich brauchen.“
„Oh, tatsächlich? In Zukunft muss ich mir merken, dass Sie Gedankenlesen können.“ Dominic schwang die Beine über den Bettrand und stand auf. Wie üblich hatte er nackt geschlafen. Nun fröstelte er im kalten Nachtwind, der durch das offene Fenster ins Zimmer wehte. Hastig schlüpfte er in den schwarzseidenen Morgenmantel, den sein Kammerdiener bereithielt. Der feine Stoff streichelte seine Haut und erinnerte ihn schmerzlich an Alexandras hellgrünes Seidenkleid. Um sich abzulenken, fragte er: „Ist Lord Leo daheim?“
„Nein, Euer Gnaden. Ihre Gnaden hat ihn gebeten, er möge sie zu Lady Morrisseys Soirée begleiten. Vor fünfzehn Minuten sind die Herrschaften aufgebrochen.“
„Und Lord Jack?“
Unbehaglich wich Cooper dem Blick des Duke aus. „Seine Lordschaft ist noch nicht nach Hause gekommen.“
„Wie lange ist er schon weg?“
„Seit gestern Abend. Da ist er mit Lord Leo ausgegangen.“
Verdammt! Jack musste wieder einmal bei einer ausgedehnten Kartenpartie sitzen und sein Geld verschwenden. Zum Teufel mit dem Kerl!
„Sicher wird er
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