Eine Frau mit Geheimnis
Stirn.
Hätte Wolkonskij sich nicht eingemischt, wäre es vermutlich zu einer Katastrophe gekommen.
Sie beobachtete, wie er Dominic ein paar schönen, vornehmen russischen Damen vorstellte. Formvollendet verneigte sich der Duke. Einige Minuten lang unterhielt er sich mit ihnen, dann führte er eine der Frauen auf die Tanzfläche.
Schweren Herzens erkannte Alex die Klänge eines Walzers. Welch eine Qual, Dominic mit einer anderen tanzen zu sehen …
Ein meisterhafter Tänzer, wirbelte er seine Partnerin über das Parkett, und Alex entsann sich, wie es gewesen war, in seinen Armen umherzuschweben. Nie wieder würde sie ein so himmlisches Glück erleben.
Diesen Anblick ertrug sie nicht länger, sie musste die Party verlassen – sofort.
Und so eilte sie zu ihrem Gastgeber und seiner Gemahlin, um zu erklären, nun müsse sie sich leider verabschieden, weil sie die Stadt am nächsten Morgen schon bei Tagesanbruch verlassen würde.
Jovial nickte Wolkonskij ihr zu. „Ganz recht, ganz recht. Immerhin haben Sie einen langen Weg vor sich, Alexandrow. Und Sie wollen frisch und munter an Ihrem Ziel eintreffen, nicht wahr? Nun, dann wünsche ich Ihnen eine gute Reise. Und viel Erfolg!“
„Danke, Exzellenz.“ Ehrerbietig verneigte sie sich vor dem Fürsten und seiner Gattin. In diesem Moment ertönten die letzten Walzerklänge, und sie flüchtete aus der Residenz.
Verzweifelt saß Alex in ihrem Schlafzimmer am Schreibtisch. Hier konnte Dominic sie nicht erreichen. Ein letztes Mal hatte sie ihn gesehen – und sich noch nie in ihrem Leben unglücklicher gefühlt.
Sie starrte durch ihr Fenster in die Dunkelheit. Vor ihrem geistigen Auge erschien sein Bild, wie er Walzer getanzt hatte – mit der Schottin Alexandra, nicht mit einer russischen Gräfin. An diese Erinnerung wollte sie sich klammern. Gab es eine andere?
Seine Umarmung, die Küsse …
Warum hatte er sie auf diese Weise begrüßt? Was bedeutete das? Beim Abschied in Dover war er so vorsichtig gewesen, hatte nur die Luft geküsst. Und die Umarmung – so unpersönlich, fast frostig! An diesem Abend nicht … Auf jeder Wange hatte sie seine warmen Lippen gespürt. Zum Glück war sie völlig verwirrt gewesen, wie gelähmt. Sonst hätte ihr rebellischer Körper sie womöglich veranlasst, an seine Brust zu sinken. Welch einen Skandal hätte sie damit heraufbeschworen.
Aber warum hatte er sie geküsst? Weil er die Wahrheit kannte? Nachdem er die zahlreichen versteckten Hinweise in ihrem verrückten Brief enträtselt hatte?
Nun musste sie ihm einen zweiten Brief schreiben und erklären, sie sei wegen einer dringenden Familienangelegenheit nach Hause gerufen worden und deshalb unfähig, die Verabredung mit ihm einzuhalten. Diesmal ohne geheimnisvolle Andeutungen. Und ohne Duftwasser.
Hastig schrieb sie drei höfliche Zeilen und unterzeichnete sie mit „Alexej Iwanowitsch Alexandrow“. Dann faltete sie den Brief und versiegelte ihn, versah ihn mit Dominics Namen und lehnte ihn ans Tintenfass.
„Werden Sie das brauchen, Herr Hauptmann?“ Ihr Offiziersbursche hielt eine der voluminösen Jacken hoch, die alle Husaren trugen, wenn sie in die Schlacht ritten.
„Nein, ich besuche meine Familie auf dem Land. Dort werde ich die Jacke nicht benötigen. Packen Sie nur meine gewöhnlichen Uniformen ein.“
Der Mann nickte und legte Alex’ Wäsche zusammen.
„Lassen Sie das Gepäck nach unten bringen“, befahl sie. „Im ersten Tageslicht wird die Kutsche vorfahren, und ich möchte die Abreise nicht verzögern.“
„Sehr wohl, Herr Hauptmann.“
Alex musterte die Unordnung in ihrem Zimmer. Hier würde sie keine Ruhe finden, solange der Bursche beschäftigt war. „Ich gehe jetzt in den Stall hinunter, um zu veranlassen, dass die Pferde in meiner Abwesenheit gut versorgt werden. Legen Sie meine zweitbeste Uniform für die Reise aufs Bett.“
Ohne die Antwort ihres Offiziersburschen abzuwarten, eilte sie aus dem Zimmer und in den Hof hinab. Pegasus stand in einer Box gleich neben dem Eingang des Stalls. Bei Alex’ Anblick wieherte er und warf den Kopf zurück. „Heute Abend hast du zu viel Hafer gefressen, das merke ich dir an.“ Zärtlich streichelte sie seinen glänzenden Hals. „Armer alter Pegasus. Ohne mich wirst du dich einsam fühlen. Schon wieder. Das lässt sich leider nicht ändern. Zum Haus meines Vaters kannst du mich nicht begleiten. Unterwegs muss ich mehrmals die Pferde wechseln. Wenn du auch stark und ausdauernd bist – diese Reise wäre zu
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